Gemeinsam gegen Rassismus!

Interview mit M. von den BLM-Protesten in Münster 

Black Lives Matter

Am 25. Mai wurde der schwarze US-Amerikaner George Floyd von einem Polizisten brutal ermordet. In den USA gab es daraufhin (erneut) große Proteste gegen die rassistische Polizeigewalt und ein rassistisches kapitalistisches System insgesamt. Wenig später dehnten sich die Proteste weltweit aus - auch bis nach Münster. Auch bei uns in Berg Fidel ist Rassismus ein immer präsentes Thema, sei es durch Stress mit der Polizei, aber auch Nachbar*innen untereinander. Wir haben deshalb mit M. von der Orgagruppe in Münster über Organisierung, Rassismus und Solidarität gesprochen. Der Artikel ist zuerst gekürzt in unserer regelmäßigen Stadtteilzeitung erschienen und nun hier in Gänze:

 

1) Warum habt ihr auch in Münster eine Kundgebung gegen Rassismus und Polizeigewalt organisiert?

Uns war es wichtig, dass wir in Münster ein Zeichen setzen. In den Medien oder auch im Stadtbild in Münster scheint Rassismus immer ein Thema zu sein, dass woanders existiert, aber nicht hier.
Doch sind Rassismus und Polizeigewalt für viele schwarze Menschen und Menschen of color im Alltag, auch in Münster, sehr präsent.

Viele Männer mit schwarzen Haaren, Bart und schwarzer Hautfarbe werden zum Beispiel am Bahnhof regelmäßig kontrolliert. Letztens habe ich selbst noch beobachtet wie zwei Polizist*innen, zwei schwarze Männer kontrolliert haben, die als Gäste in einer Kneipe draußen saßen. Das würde die Polizei niemals bei weißen Menschen machen, vor allem, wenn diese in einer Kneipe sitzen.

Doch, wenn man sich auch anschaut, welche politischen Entscheidungen in Münster getroffen werden, dann merkt man auch dort Rassismus. Zum Beispiel wohnen viele schwarze Menschen und Menschen of color in den äußeren Stadtteilen. In diesen Stadtteilen gibt es im Verhältnis mehr Wohnungen, die heruntergekommen sind, als in anderen Stadtteilen.
Das ist kein Zufall.

Unser Hauptanliegen, warum wir diese Kundgebung veranstaltet haben, war es den Menschen und der Stadt den Spiegel vorzuhalten. Viele beschäftigen sich kaum mit dem Thema Rassismus und setzen Rassismus mit Nazis gleich. Doch Nazis sind ‚nur‘ die extremsten und tödlichsten Rassisten. Alle Personen, die auf der Kundgebung gesprochen haben, haben ganz klar betont, wie oft sie das Gefühl haben von anderen Menschen als fremd bewertet zu werden. Das passiert durch die ständigen Blicke, als auch übergriffige Fragen.

Vielen weißen Personen ist das auch gar nicht bewusst. Oder sie sehen das Problem hinter bestimmten Fragen, Handlungen oder Verhaltensweisen nicht. Und gerade Münsters Politiker*innen bemühen sich immer das Heile-Welt Bild aufrechtzuerhalten.

Wir in der Orgagruppe wollen genau dieses Bild in das richtige Licht rücken: Wer profitiert tatsächlich von der Politik? Wer profitiert von Münsters Reichtum? Wer trifft in Münster die Entscheidungen? Und für wen werden die Entscheidungen getroffen? Wer sich ein bisschen mit diesen Fragen beschäftigt, wird schnell merken, dass auch Münster ein Problem mit Rassismus hat.

 

2) Wer steht hinter den Protesten, wie habt ihr euch zusammengefunden?

Nachdem verschiedene Städte in ganz Deutschland Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Polizeigewalt in den USA und Deutschland angemeldet haben, hat sich das Kulturzentrum Odak e.V. entschieden auch in Münster eine Kundgebung anzumelden.

Es gibt in Münster bisher keine offizielle politische Gruppe oder Initiative von schwarzen Menschen. Aus diesem Grund hat Odak e.V sich um die Hintergrundorganisation für die Kundgebung gekümmert und in kurzer Zeit versucht schwarze Redner*innen zu finden.
Der gesamten Orgagruppe war es wichtig, dass diese Veranstaltung von Menschen organisiert wird, die selbst von Rassismus betroffen sind. Das war für uns als Redner*innen ein krasses Gefühl, da wir inhaltlich alles selbst bestimmen durften.

Die meisten Redner*innen auf der Kundgebung kannten sich tatsächlich über einen Treff für schwarze Menschen und Menschen of color, welcher sich im Januar an der Uni Münster gebildet hat.
Dieser Treff ist für alle zugänglich. Nicht alle, die dahin kommen studieren und wir haben eine breite Altersspanne.  Offiziell haben wir uns angekündigt, als „Odak e.V. und ein Zusammenschluss Schwarzer Menschen“.

Bald wollen wir darüber sprechen, welche Art von Gruppe der „Zusammenschluss Schwarzer Menschen“ werden könnte. Welche Ziele wir verfolgen und wie wir diese erreichen können.
Da können wir uns natürlich eine Zusammenarbeit mit Odak e.V.wieder vorstellen. Sobald wir für uns mehr Klarheit geschaffen haben, ob und wie wir als Gruppe weitermachen wollen, lassen wir es euch natürlich wissen. Mir wäre es nämlich wichtig, dass wir Menschen aus allen Stadtteilen zusammenkriegen.

 

3) Die zweite Kundgebung sollte ja den Fokus auf strukturellen und institutionellen Rassismus legen. Kannst du erklären, was ihr damit meint?

Rassismus findet sich auf ganz verschiedenen Ebenen wieder.

Im Alltag kann das z.B. sein, dass eine Person aufgrund ihres Aussehens beleidigt wird oder eine Wohnung wegen ihres Namens oder ihres Aussehens nicht bekommt.

Die strukturelle Ebene kann sich in Gesetzen, unseren Normen und Werten wiederfinden.
Als Beispiel: NRW hat kein Anti-Diskriminierungsgesetz. Diese soll bald kommen, doch hat die Politik es bisher nicht als notwendig empfunden, Rassismus als Problem anzuerkennen.

Institutioneller Rassismus ist der Rassismus, den wir in Institutionen beobachten können.
Als Beispiel: Die Schulen.

Kinder und Jugendliche of color, als auch Schwarze, werden in Schulen schlechter bewertet, kriegen schlechtere Qualifikationen für die weiterführende Schule und müssen sich doppelt so viel anstrengen, um die gleiche Bewertung zu erhalten.

 

3.1) Gibt es einen Zusammenhang zwischen Rassismus und Armut?

Absolut. Und dieser Zusammenhang ist super offensichtlich.

Die Personen die in Deutschland im sogenannten ‚Niedriglohnsektor‘ arbeiten, sind überwiegend die Personen, die auch von Rassismus betroffen sind. Die Ausbeutung von Arbeitskräften aus dem Ausland ist eine gängige Methode, um den deutschen Wohlstand aufrechtzuerhalten. Die Politik scheint diese Methode nicht aufgeben zu wollen, denn ansonsten könnte ja Deutschlands Ruf in der Welt verloren gehen.
Der Anteil an Kindern und Jugendliche, welche von Rassismus betroffen sind, überwiegt an Hauptschulen. Und je niedriger der Schulabschluss ist, desto eher sind Personen von Armut bedroht.

Geflüchtete Menschen sind in Deutschland ebenso von Armut bedroht, da sie oftmals nur von Sozialleistungen leben müssen (und diese sind ja überhaupt nicht ausreichend), da sie keine Arbeitserlaubnis erhalten oder oft nur schlecht bezahlte Jobs bekommen. Rassismus und Armut haben viele Überschneidungspunkte.

Uns wird in unserer Gesellschaft ja vermittelt, dass wir nur hart genug arbeiten müssen, um erfolgreich zu sein. Ich glaube da nicht dran. Menschen haben von vornherein nicht die gleichen Zugänge und Möglichkeiten. Und wenn Familien über Generationen hinweg eher perspektivlos auf ihre Zukunft und die Zukunft der Kinder schauen, so bildet sich ja auch keine Motivation und kein Selbstbewusstsein heraus, damit man sich gegen die rassistischen Strukturen stellen kann.

 

4) In Berg Fidel leben viele Menschen, die Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland machen. Gleichzeitig gibt es auch viele Vorurteile untereinander und zwischen den verschiedenen Communities. Was braucht es, damit wir Rassismus gemeinsam überwinden können?

Wir brauchen ein gesellschaftliches Verständnis davon, was Rassismus tatsächlich ist und wie Rassismus wirkt. Ich bin ein großer Fan von der Idee, dass einzelnen communities sich von Innen heraus stärken. Das bedeutet die eigene Position zu verstehen und hinterfragen und gemeinsam Lösungen finden, wie man die Position verändern kann.

Gleichzeitig fände ich ein Miteinander schön und sinnvoll, da es ja eine große Gemeinsamkeit gibt:
Rassismus in Deutschland. Rassismus in Münster. Da sind es nicht die einzelnen Personen oder communities, die die Feinde sind, sondern die politischen Strukturen. Also was wir brauchen ist ganz viel Wissen, bei allen Menschen. Damit wir Vorurteile und Stereotype abbauen können.

Wir brauchen mehr und gute Bildung in den Stadtteilen, wo die communties wohnen, die von Rassismus betroffen sind. Dazu zählt für mich auch, dass die Lehrpläne angepasst werden (z.B Unterricht in der Muttersprache, Inhalte leichter eklären für Schüler*innen, die nicht gut deutsch sprechen können). Es geht darum die Menschen nicht direkt fallen zu lassen und in Randgebiete abzuschieben.

Wir brauchen eine Soziale Arbeit, die mit den einzelnen Menschen und communities arbeitet und nicht für den Staat. Denn die Interessen des Staates sind nie die Interessen der Einzelnen.

Wir brauchen eine politische Anerkennung der Lebensrealität von Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Wie ist die Situation eines Alleinerziehenden Elternteils in Berg Fidel? Was braucht diese Familie? An welchen Stellen wird diese Familie ausgegrenzt, da sie z.B keinen Zugang zu höherer Bildung hat, nicht in Urlaub fahren kann, das Elternteil nicht bei den Hausaufgaben helfen kann, etc…? Jede Lebensrealität ist natürlich eine andere, doch kann man Gemeinsamkeiten finden.

Ich denke, dass die Unzufriedenheit durch die permanente Benachteiligung, Ausgrenzung und Unterdrückung dafür sorgt, dass Spannungen zwischen den communities entstehen.

 

5) Was bedeutet Solidarität für dich?

Solidarität ist ein Begriff der super viel in letzter Zeit genannt wurde.
Für mich ist er leider oft mit leeren Worten gefüllt.

Dennoch bedeutet Solidarität für mich, dass ich die Situation und Position einer anderen Personen sehen und anerkennen kann. Mit meinen eigenen Mitteln (durch meine eigene Position) bin ich bereit diese Person zu unterstützen und ihr meine Hilfe anzubieten.
Diese Unterstützung kann sowohl im Alltag, als auch auf politischer Ebene passieren.

 

Interview: Berg Fidel Solidarisch

Foto: Johnny Silvercloude, flickr.com/photos/johnnysilvercloud/28476745294/in/photostream/

Autor*in
Berg Fidel Solidarisch