9.11. - Gedenken. Handeln.

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"Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen." (Primo Levi)

Wir sind im Land der Täter*innen, verwoben in ein Netz antisemitischer Kontinuitäten. Im Bewusstsein dessen gedenken wir am 9.11. der Opfer der Reichspogromnacht und dessen, was in den Jahren danach kam: Die systematische Ausgrenzung und Vernichtung der Jüdinnen*Juden in Europa.
Dieses Unbegreifliche ist in Deutschland durch die Deutschen Wirklichkeit geworden. Der zur Vernichtung führende Antisemitismus war wesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie. Der eliminatorische Antisemitismus erfüllte dabei keinen instrumentellen Zweck - die Vernichtung fand um der Vernichtung willen statt. In dieser rasenden Bewegung der antisemitischen Mobilisierung realisierten die Deutschen ihre wahnhafte "Volksgemeinschaft".

Dieser Antisemitismus hatte aber eine lange Tradition in Deutschland und Kontinuitäten dazu bleiben bestehen: Materiell haben wichtige deutsche Unternehmen von Zwangsarbeit und Enteignungen profitiert; Sicherheitsbehörden und Militär haben kaum oder schlecht ihre Vergangenheit aufgearbeitet; Viele, die zuvor das Naziregime trugen, durften die Bundesrepublik wiederaufbauen und bildeten die Mitte der Gesellschaft, fest verankert in Führungspositionen in allen Sphären der Gesellschaft. Deutsche wissen oft nicht und wollen auch nichts wissen über die Vergangenheit ihrer Familie.
Dazu kommen allerlei Versuche, einen "Schlussstrich" zu ziehen. Nicht nur durch platten Geschichtsrevisionismus, sondern gerne durch ritualisiertes Gedenken – sogar durch eine Identifikation mit der "Aufarbeitung der Vergangenheit", zu deren "Meister" man sich längst erklärt hat.

Das geschieht immer, wenn man ganz gut darin ist, toten Juden zu gedenken, aber sich nicht an die Seite lebender Jüdinnen*Juden stellt, wenn sie für ihr Leben und Sein einstehen. Das passiert, wenn man Jüdinnen*Juden eine bestimmte Rolle im eigenen "Gedenktheater" zuschreibt: als stumme Opfer - aber ein Problem hat, wenn Jüdinnen*Juden sich wehren. Das passiert, wenn man zu Expert*innen für den Antisemitismus der "anderen" wird - zum Beispiel, indem vom "importierten Antisemitismus" gesprochen wird - und damit eine Externalisierung der eigenen Schuld stattfindet. Das passiert gleichzeitig auch, wenn Antisemitismuskritik als Ausdruck einer "german guilt" abgewehrt wird. Das passiert schließlich auch, wenn man sich nicht mehr die Frage stellt, was die tiefen, gesellschaftlichen Ursachen sind, die Antisemitismus immer wieder hervorbringen und die bestehenden Verhältnisse rechtfertigt.

Gedenken heißt: Verantwortung übernehmen und Selbstkritik üben. Gedenken heißt Handeln: Damit Auschwitz sich nicht wiederholt, damit Antisemit*innen ihren Wahn nicht in Taten umsetzen können. Gedenken heißt Solidarität, wenn die Nachkommen der Überlebenden sich der Rolle entziehen, zu potenziellen Opfern gemacht zu werden und dagegenwirken.


Die Kundgebung wird organisiert vom Jugendbündnis gegen Antisemitismus. In Kooperation mit der Plattform Minimum.

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