Zur LNdB 2025: You did it again? Halbbildung und Antisemitismus Hand in Hand

Im vergangenen Jahr wurde die Lange Nacht der Bildung (LNdB) als kleines Einmaleins des praktischen Antisemitismus konzipiert. Ein traditionsreiches und wichtiges Veranstaltungsformat wurde dabei bewusst zweckentfremdet. [Siehe Recap unten] Und dieses Jahr?

Es scheint, dass es nicht ganz so weit gekommen ist. Im Gegenteil: Betrachtet man das Gesamtkonzept und die Themen der meisten Vorträge, könnte man zunächst aufatmen und interessiert sein. Es geht um die Thematisierung verschiedener Facetten gesellschaftlicher Regression vor dem Hintergrund akuter rechter Bedrohungen.

Einige Vorträge scheinen dabei besonders gelungen – etwa der zur Kritik der Migrationspolitik oder jener zur linken Melancholie. Genau das, was es jetzt braucht.

Oder doch nicht?
Man muss nicht allzu genau hinschauen, um zusammenzuzucken und an vielen Stellen dieselbe Handschrift wie im Vorjahr zu erkennen: Die meisten Vortragenden lassen sich eindeutig einer bestimmten Richtung innerhalb der Linken zuordnen, die Antisemitismus entweder verharmlost oder reproduziert. Statt überzeugender emanzipatorischer Kritik ist hier meist eine ideologisch-identitäre Pseudokritik im linken Gewand zu erwarten.

 

1) Hoban, again.

Am auffälligsten: Auch dieses Mal ist Wieland Hoban wieder dabei, der über die Repressionen gegen (vermeintlich) palästinasolidarische Bewegungen sprechen soll. Es ist zwar legitim, Zweckentfremdungen und Entgleisungen in den Maßnahmen gegen die Proteste anzusprechen. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass Hobans Vortrag zu einer reinen Apologie der gewalttätigen antisemitischen Bedrohung wird, die von diesen Kreisen ausgeht. Eine sachliche Kritik an Aspekten der Kriegsführung, den rechten Entwicklungen in Israel oder der Netanjahu-Regierung (die notwendig ist) ist sicher nicht zu erwarten.

Wieland Hoban ist ohnehin eine komplett inakzeptable Personalie: Er bezeichnet Zionismus als „Selbstabschiebung der Juden“, teilt Posts der Hamas- und Hisbollah-Unterstützer der irischen Band „Kneecap“, relativiert die antisemitische Hochstimmung als „gelegentliche Aggressionen“ oder verharmlost die Jagd auf Juden*Jüdinnen und Israelis in Amsterdam. Besonders problematisch ist seine Mitgliedschaft bei der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden / Jewish Voice for Peace und bei der „Revolutionären Linken“ – beides Organisationen, die den 7. Oktober als Widerstand gerechtfertigt haben, mit (anderen) links-autoritären Gruppen kooperieren und keine Distanz zu Islamisten wahren. [Weitere Hintergrundinformationen unten]

 

2) ...und einiges mehr.

Der Teufel steckt im Detail: Mehrere Vortragende sind – abgesehen von ihren spezifischen Themen – insgesamt als problematisch einzustufen. Dazu zählen beispielsweise der Podcast 99zu1 und die Gruppe Migrantifa Berlin.

Es ist nicht auszuschließen, dass, während es vordergründig um anderes geht, doch dezidiert an der Durchsetzung eines Ticketdenkens gearbeitet wird, in dem sich linke Essentials mit antisemitismusverharmlosenden, antizionistischen oder genuin antisemitischen Positionen verbinden – und das sich übrigens auch gegen eine faktische Verharmlosung des Putin-Regimes nicht sperrt.

 

99zu1 ist ein Podcast, der Raum für linke Debatten anbieten will. Es gibt zwar durchaus brauchbare Folgen, viele sind aber reines Mansplaining der männlichen Initiatoren des Podcasts, die mit sicherem und erklärendem Gestus komplett daneben greifen und ganz dem Geist verkürzter und ideologischer Gesellschaftskritik, den schon der Name des Podcasts andeutet, entspricht.

Statt Kritik der Verhältnisse und der darin angelegten Fetische geht es um Identitätsvergewisserung. Besonders große ‘Expertise’ scheinen die Autor*innen beim Thema Antisemitismus zu haben: Die Folge, die Antisemitismus erklären soll, greift ganz daneben; die Folge, die gängige Fehler in der Auffassung von Antisemitismus zu behandeln meint, definiert alles weg, was Antisemitismus ausmacht. Wäre es nicht Absicht, hörte sich das Ganze genau so an als würde jemand ohne Ahnung seine zusammengewürfelte Meinung minutenlang erklären. In einem Beitrag wird unter anderem behauptet, dass Holocaustleugnung nicht zwangsläufig antisemitisch sei und Verständnis für geschichtsrevisionistische Positionen der AfD gezeigt. So wundert es auch nicht, wer alles eingeladen wird: die antisemitische Organisation ZORA, Ramsis Kilani, Francesca Albanese – und Wieland Hoban.

 

Migrantifa Berlin: Das Label „Migrantifa“ sollte ursprünglich die Begegnung zwischen Selbstorganisierung migrantisierter Menschen und Antifa benennen und als Konzept der entscheidende Zug in einer Neuaufstellung des Kampfes gegen die rasante rechte und rassistische Normalisierung sein – und die radikale Linke nach den Anschlägen von Halle, Hanau und dem Polizeimord an George Floyd erneuern. Das Label und die Accounts wurden leider in mehreren Städten schnell von Akteur*innen der sog. antiimperialistischen Linken an sich gerissen, die in vielen Fällen entweder die Arbeit direkt auf Antizionismus fokussierten oder ein Ticket zwischen Antizionismus und Rassismusbekämpfung aufstellten. Migrantifa Berlin war dabei ganz vorn mit dabei: Man kooperiert direkt mit Samidoun (einer Vorfeldorganisation der PFLP) und lässt sich auf Bündnisse mit türkischen und arabischen Nationalisten sowie mit Islamisten im Namen des Kampfes gegen Israel ein. Gegen den Willen der Angehörigen und Überlebenden war Migrantifa Berlin daran beteiligt, das Gedenken an die Opfer von Hanau in Berlin zur Anti-Israel-Demo zu machen und damit für die eigene Agenda zu instrumentalisieren. Ein solches Ticket – gepaart mit der Bereitschaft zur Kooperation mit Gruppen, die Menschen offen bedrohen sowie der praktischen Offenheit gegenüber explizit regressiven Kreisen – ist nicht zuletzt für antirassistische Kämpfe und Widerstandspraxis ein Schaden.

 

3) Halbbildung als Programm

Diese Lange Nacht ist vieles – sie hat aber wenig mit Bildung zu tun. Unironisch trifft auf sie ziemlich genau der Begriff der Halbbildung zu.

Sie atmet den selben konformistischen Charakter der Gesellschaft, zu der sie sich in Opposition wähnt und deren fetischisierte Formen sie reproduziert. Es geht nicht um die Bildung einer kritischen Subjektivität, die die verdinglichten Denkformen bricht und sich der Erfahrung des Gegenstands fähig macht, indem sie in der Arbeit der Kritik und Reflexion bleibt. Vielmehr erkennt man hier die Verbreitung schematisch abrufbarer Modelle und Techniken, um Urteile zu produzieren, deren Wert sich in der instrumentellen Nützlichkeit für eine Praxis erweist. Ziel dieser Praxis ist weniger die Kritik und Abschaffung der falschen gesellschaftlichen Vermittlung, als das Verleihen einer Identität als ‘gute Linke’ – also das Stilllegen des Subjekts. Sie ist Jargon, den man erlernen soll, um mitzumachen. Ihre Attitüde ist die des „Verfügens, Mitredens, als Fachmann sich Gebärdens, Dazugehörens“ und ist darin mit kollektivem Narzissmus verwandt. Dabei sind Antisemitismus und dessen verpasste Thematisierung kein zufälliges Produkt: Einerseits ist Antisemitismus begleitende Frucht des Abbruchs von Reflexion und von Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse (die von sich aus Antisemitismus erzeugen); andererseits ist heute eine Bildung, die sich nicht den Imperativ setzt, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, eben ihr Gegenteil.

 

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Recap: Die LNdB 2024

Die LNdB 2024 sah u.a. eine Einführung in die Antisemitismuskritik durch den führenden Antisemitismusverharmloser Wieland Hoban vor, die der Veranstaltung einen Freispruch vom Vorwurf des Antisemitismus ausstellen sollte. Dabei wurde in seinem Vortrag die Shoa praktisch nicht erwähnt, dafür jedoch Zionismus als antisemitisch dargestellt. Der 7. Oktober wurde zum Akt des Widerstands verklärt. Das Programm kulminierte in einem Vortrag von Students for Palestine, in dem Israel per se als koloniales und genozidales Projekt präsentiert und die Gewalt der Hamas als Widerstand legitimiert wurde. In der anschließenden Diskussion gingen die Ausfälle noch weiter: Die Ermordeten des 7.10. wurden als Schuldige bezeichnet. Insgesamt waren fast alle Beiträge grenzüberschreitend. Nur unter Druck wurde die Gruppe ZORA, die ebenfalls den Pogrom vom 7. Oktober gefeiert hatte, ausgeladen. Als ‘Schutz’ für die Veranstaltung dienten Militante aus dem Umfeld der maoistischen Gruppe Aufbruch Münster – Personen, die an sich eine Bedrohung darstellen. Gegen den angemeldeten Gegenprotest antisemitismuskritischer Organisationen sammelte sich ein aggressiver Mob aus den Reihen der politischen Gruppen hinter der LNdB. Mit extremen Drohgebärden erklärten diese die Gegendemo für die Toten in Gaza verantwortlich und deklarierten sie zum legitimen Angriffsziel. Die gesamte LNdB wurde damit zu einem der zentralen Schauplätze der Raumnahme durch links-autoritäre Gruppen in Münster.

 

Hoban und JVP

Jewish Voice for Peace (JVP) ist eine Randorganisation, deren Mitglieder als Kronzeug*innen für antizionistische und antisemitische Linke auftreten und deren Hauptaufgabe darin besteht, Antisemitismus ad hoc umzudefinieren, um diese Linken von Antisemitismus freizusprechen. JVP bezeichnete die Hamas-Terroristen, die an den Massakern des 7.10. beteiligt waren, als "Guerrillakämpfer", die aus "ihrem Ghetto ausgebrochen" seien und postete am Jahrestag Aufnahmen des 7.10., der als "Durchbruch" gefeiert wurde, während man zu einer Berliner Demonstration unter dem Motto "Glory to the resistance" aufrief.

Wiederholt wurden der Krieg und die gravierende humanitäre Krise in Gaza mit der Shoa gleichgesetzt und eine Sprache bedient, die Israel mit dem Nationalsozialismus assoziiert – auch am 27.01. (Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust). In Postings wird die zweite Intifada als antikolonialer Aufstand gefeiert, die Elimination von Hisbollah-Chef Nasrallah und des Hamas-Führers Haniyyeh als Provokation bezeichnet, sich über den Zuwachs bei den islamistischen Jenin-Brigaden gefreut. Über Bündnisse (u.A. das Kufiyya Netzwerk) kooperiert JVP nicht nur mit Gruppen wie Samidoun, sondern auch mit autoritären Neostalinisten wie der Kommunistischen Organisation, die offen an der Seite Putins und des Regimes in Teheran steht.

 

Hoban und die “Revolutionäre Linke”

Die “Revolutionäre Linke” (RL) versteht den Kampf gegen Israel als Katalysator für den globalen antiimperialistischen Kampf – oder wahrscheinlich eher als Ersatzkampf für die reale Kritik und Abschaffung imperialer, globaler Verhältnisse, die ihnen unbegriffen bleiben. Für diesen Kampf erwägt die RL offen die Möglichkeit, mit Islamisten eine “Einheitsfront” zu bilden – was sie und andere tatsächlich auf den Straßen in den letzten Monaten getan haben. Ihre (Bild-)Sprache entspricht dem Vorhaben:

Hamas-Dreiecke werden verwendet und der Hamas-Terror mit "deep love" konnotiert. Zudem versucht die RL, Antisemitismuskritik auszuhebeln, indem sie behauptet: "Antisemitismus ist nichts anderes als eine Form des Rassismus, der sich gegen die Juden richtet." Diese, wie die seriöse Antisemitismusforschung in den letzten Jahrzehnten bewiesen hat, unhaltbare These dient dazu, das Spezifische der Funktionsweise von Antisemitismus zu leugnen und den Gegenstrategien, letztlich auch der Notwendigkeit des Staates Israel, die Gültigkeit abzusprechen.

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minimum
emanzipatorische plattform gegen antisemitismus

Kontakt: plattform_minimumatriseup.net

 

Autor*in
plattform minimum