An Leid gewöhnt. Die Kritische Theorie der Kulturindustrie. Vortrag von Marc Grimm

Bild
Datum

Vergnügen heißt allemal: nicht daran denken müssen, 
das Leiden vergessen, noch wo es gezeigt wird. 
(T.W. Adorno / M. Horkheimer: Dialektik der Aufklärung)

Theodor W. Adorno sprach der Kunst die Aufgabe zu, menschliches Leiden zu erinnern und zu bewahren, damit ein Zustand wenigstens noch denkbar bleibt, in dem Leid abgeschafft ist. Die Kulturindustrie hingegen, die Adorno dem autonomen Kunstwerk gegenüberstellt, besorgt das Gegenteil: Sie macht das Leiden vergessen, noch wo es gezeigt wird. Jean Améry argumentierte 1972, dass die realistische Darstellung menschlichen Leidens das Mit-Leiden des Zuschauers erzwinge und dieser damit „das Grauen, das er hier erlernte, so schnell nicht wieder verlernen“ wird. Aktuelle kulturindustrielle Produkte hingegen, deren Darstellungen von Gewalt keine Grenzen und Tabus kennen, lassen den Verdacht, sie könnten Leid erfahrbar machen, erst gar nicht aufkommen.
Der Vortrag entwickelt entlang zentraler Begriffe das Verhältnis von autonomer Kunst und Kulturindustrie und argumentiert, dass das empathische Potential des Films, welches Améry der filmischen Darstellung von Leid zusprach, zunehmend im Schwinden begriffen ist.

Marc Grimm, Dr.phil., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Prävention und Intervention in Kindheit und Jugend an der Universität Bielefeld. Zuletzt erschien bei De Gruyter der zusammen mit Bodo Kahmann herausgegebene Sammelband Antisemitismus im 21. Jahrhundert. Virulenz einer alten Feindschaft in Zeiten von Islamismus und Terror.