Was tun im Angesicht von Klimawandel und kapitalistischer Dauerkrise? Ein in linken Kreisen zuletzt vieldiskutierter strategischer Ansatz ist die sozial-ökologische Transformation. Keine gute Idee, meinen die Genoss*innen der IL Münster und plädieren für das Festhalten an einer antikapitalistischen Perspektive und der Idee des Kommunismus. Dieser Text erschien zuerst auf dem Debattenblog der IL.
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Waldbrände, auftauende Permafrostböden, eisfreie Arktis – der Jetstream lahmt und in Nordsibirien ist es 38 Grad warm … Das kennzeichnet Kipppunkte, die bei ihrem Eintreten den Klimawandel auf ein neues Level katapultieren würden. Dieses Phänomen ist schon seit Jahren bekannt. Die letzten zwei oder drei Jahre vermitteln den Eindruck, dass wir diese Kipppunkte erreicht haben. Basically we‘re fucked! Irgendetwas muss passieren und man könnte es doch eine sozial-ökologische Transformation nennen. Aber ist das die Lösung? Der Begriff ist weit, offen, vielfältig. Kann er auch fassen, worum es gehen muss?
Transformationen im Kapitalismus
So lange in Kohle, Erdöl, Erdgas weiterhin das weltweite Kapital investiert wird, wird es sich verwerten wollen und es gibt wenig Grund zur Annahme, dass Klimaräte, Klimagipfel und Klimawissenschaftler*innen dieses Kapital zur Vernunft bringen könnten. Es handelt nicht einfach unvernünftig, es folgt vielmehr seiner eigenen Logik. Deren einzige Zielsetzung ist Geld heckendes Geld, der nihilistische Prozess der Kapitalverwertung um jeden Preis.
In der gegenwärtigen Situation wird nun verstärkt der Begriff der sozial-ökologischen Transformation ins Spiel gebracht. Manche setzen ihn gleich mit einem »Green New Deal« oder einem »Corona Green Deal«. Gibt man den Begriff in eine Suchmaschine ein, so zeigt sich vor allem eins: Er ist anschlussfähig. Sicherlich ist es zu kurz gegriffen, den Green (New) Deal, den die EU propagiert, mit der sozial-ökologischen Transformation gleichzusetzen. Diejenigen, die den Begriff Transformation in guter Absicht verwenden, mögen durchaus eine Gesellschaft vor Augen haben, die danach sozialer und ökologischer ist als vorher. Sie mögen ihn sogar mit sehr grundlegenden Veränderungen verbinden. Aber einige Aspekte gilt es zu bedenken, bevor »sozial-ökologische Transformation« zum zentralen Begriff eines linken Kampfes gegen die Klimakatastrophe wird.
Zur Überwindung der Klimakrise wird es Prozesse geben müssen, die man im weitesten Sinne als transformatorische (Transformation im Wortsinn als Umformung, Umgestaltung über etwas hinaus) kennzeichnen kann. Aber ist der Begriff der Transformation auch geeignet, den Bruch mit dem kapitalistischen System anzuzeigen, der angesichts der ökologischen Zerstörung durch den Kapitalismus mehr als notwendig ist? Wir haben zumindest Bedenken.
Auch wenn das weltweite Kapital sich, solange es möglich ist, in der fossilen Industrie mit all ihren Ausläufern verwerten will und muss, so liegt die Notwendigkeit für Veränderungen auch aus einer kapitalistischen Perspektive auf der Hand. So propagiert das World Economic Forum den »Great Reset«, einen Neustart für eine gerechtere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Zukunft. Auf lange Sicht könnte der Kapitalismus eine sozial-ökologische Transformation brauchen. Das neue Programm der Grünen dokumentiert dies hinlänglich. Sozial-ökologische Transformation würde an der grundlegenden Problematik des Kapitalismus nichts ändern. Beide Aspekte machen den Begriff problematisch, wenn es darum gehen soll, eine gegenüber diesem Kapitalismus antagonistische Position aufzubauen, aus der heraus Handlungsfähigkeit resultieren soll.
Dass Transformationsprozesse im Kapitalismus langfristig sowohl ökologisch als auch sozial sein könnten, wäre kein Zugeständnis an Protest und Kritik. Systemimmanent könnte sich die ökologischen Katastrophe als ein schier unermessliches Terrain für ökonomische Aktivitäten zur Kapitalakkumulation erweisen. Schon jetzt trägt jeder »Umweltschaden«, der »behoben« wird, zur Vergrößerung des Bruttoinlandsprodukts bei. In diesem Sinne kann man hier eine erstaunliche Nähe zum historischen New Deal erkennen, der auf den Trümmern der Weltwirtschaftskrise entstanden ist und aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs eine kapitalistische Wachstumsphase hervorgehen ließ – mit Massenkonsum und Klassenkompromiss. Keine einhundert Jahre später haben wir es erneut mit einer Weltwirtschaftskrise auf der einen Seite und – neben den Kriegen dieser Welt – mit der Zerstörung der Lebensgrundlagen dieses Planeten auf der anderen zu tun. Der neue Deal ist strukturell nichts anderes als der alte: das Angebot, auf diesen Trümmern ein verändertes Verwertungsregime und eine neue Art des Klassenkompromisses zu errichten.
Dazu gehört aber noch mehr, insofern der Kapitalismus auch eine soziale Transformation benötigt, die sehr vielfältig ist. Für den fordistischen Kapitalismus, der aus dem ersten Deal hervorging, war der Bereich des Sozialen so organisiert, dass die Reproduktion außerhalb der Kapitalverwertung stattfand. Diejenigen, die vor allem dafür zuständig waren – die Frauen – haben Carearbeit unentgeltlich geleistet. In den letzten Jahren haben schwerwiegende Veränderungsprozesse stattgefunden. Der neoliberale Kapitalismus und sein Ideal, der Homo oeconomicus, eröffnen weitere Verwertungsmöglichkeiten, sodass das weite Feld des Sozialen, der Gesundheit, Pflege, Bildung dem Kapital zum Fraß vorgeworfen wird. Anders formuliert: Für den Kapitalismus, der sich sozial-ökologisch transformiert, werden die Karten der Verwertungsmöglichkeiten neu gemischt.
Die Weise der sozialen Reproduktion im neoliberalen Kapitalismus verändert auch die Subjekte selbst. Das neoliberale Subjekt, dessen Ausgangspunkt der Homo oeconomicus ist, ist notwendig zum Selbstunternehmer mutiert. Es betrachtet sich selbst als Ergebnis einer Investition und wird angesichts der multiplen Krisen »resilient«, wie auch »die Natur« resilient werden soll! So werden die Menschen darauf vorbereitet, all dem standzuhalten, was ihnen abverlangt wird. Anderes brauchen sie nicht, weil sie auch gelernt haben, die organisierte Traurigkeit des Kapitalismus angesichts der Klimakatastrophe auszuhalten. Auf ein solches neoliberales Subjekt bleibt auch ein grüner Kapitalismus der Zukunft als digitaler Kapitalismus angewiesen. Eine sozial-ökologische Transformation des Kapitalismus, die nicht den Bruch mit diesem System denkt und diesen will, läuft Gefahr, auf ebensolche neoliberal-digitalen Subjekte innerhalb eines grünen Kapitalismus zu setzen.
Alle Mittel, die in diesen Transformationsprozess einfließen, sind genau die Mittel des Systems, das es zu überwinden gälte, wenn wir nur den Hauch einer Chance haben wollten, den Zerstörungsprozess, der sich im Moment vor allem in der Klimakatastrophe realisiert, aufhalten zu wollen. Anders gesagt: Wenn man den Versuch unternimmt, aus dem Gegebenen das abzuleiten, was dann die Veränderung bewirken oder gar sein soll, reproduziert man das kapitalistische System auf der nächsten Stufe und stabilisiert damit das, was es zu überwinden gilt. Oder ganz praktisch an einem Beispiel: Die Freude darüber, dass die Corona-Investitionsprogramme keine Kaufprämien für fossile Automotoren vorsehen und dies vielleicht sogar durch Bürger*innenproteste erreicht wurde, übersieht vollständig die Funktion der Elektromobilität für die auch aus der Perspektive des Kapitalismus sinnvoll und notwendig erscheinenden Veränderungsprozesse sowie die Rolle, die Bürger*innenproteste für die Durchsetzung solcher Veränderungsprozesse spielen, wenn sie denn keine antagonistische Position einnehmen bzw. die Überwindung des Kapitalismus als Ganzen aus den Augen verlieren.
Klimadigitalisierung
Das digitale Subjekt hat kein Empfinden mehr für den Zustand der Umwelt und den Klimawandel in der materiellen Welt. Die materiellen Bedingungen der Produktion verschwinden im digitalen Raum gänzlich, der Bildschirm zeigt uns eine bunte Bilderwelt, hinter deren Fassade die menschenverachtenden Zustände in der Fabrik, auf dem Containerschiff, im Logistikzentrum und beim Paketdienstleister besser versteckt sind als jemals zuvor.
Die digitale Welt ist heute für etwa 4% des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich (Link), Tendenz stark steigend. Ein bekanntes Beispiel, das den Energiehunger unserer digitalen Helferlein veranschaulichen soll: Eine Suchanfrage bei Google verbraucht so viel Energie, wie es benötigt, eine Tasse Wasser zu kochen. Google erhält über 63.000 Suchanfragen pro Sekunde (Link)! Einen großen Teil des globalen Datenverkehrs machen (Video-)Streaming-Dienste aus. Insgesamt 60% des gesamten Energieverbrauchs entfallen für Video-On-Demand-Dienste wie Netflix und Amazon Prime (34%), Pornografie (27%) oder Videoseiten wie Youtube oder Vimeo (21%) (Link). Streaming verspricht zu jeder Zeit immer genau das sehen oder hören zu können, was mir gerade beliebt. Der Inhalt wird, nur für mich, von einem Server am anderen Ende der Welt, direkt bei mir zu Hause auf das Laptop gebracht. Das ist ein Grundversprechen der Digitalisierung: Alles wird individualisiert, auf mich zugeschnitten und personalisiert. Energieeffizienz spielt hier keine Rolle.
Dafür sammeln Tech-Konzerne wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft jede Information über ihre User*innen, die sie irgendwo auftreiben können. Zu guter Letzt verdienen sie ihr Geld nämlich doch damit, personalisierte Werbung zu verkaufen, die am Ende handfeste Produkte oder Dienstleistungen bewirbt. So macht Digitalisierung den Konsum noch einfacher. Im Online-Shopping orientieren wir uns an bunten Bildchen und fragwürdigen Benutzer*innenbewertungen und ein Klick genügt, um einen Flug zu buchen, eine Billigjeans oder einen Thermomix zu kaufen. Und nach dem Klick auf den Bezahl-Button rattert die Logistikmaschine los. Der Energieaufwand für Verpackung und Transport steigt, von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen ganz zu schweigen.
Bundesregierung und Unternehmer*innenverbände beschreiben den Klimawandel und die Digitalisierung als die großen Megatrends unserer Zeit. Vereinzelt wird auch der Zusammenhang zwischen diesen beiden Themen eröffnet, meistens, um dann die Digitalisierung als den besten Weg aus der Klimakrise zu preisen. Aktuell scheint es eher im Gegenteil zu gipfeln: Der Klimawandel treibt uns in die Digitalisierung und die Digitalisierung treibt den Klimawandel voran. Industrie 4.0, der flächendeckende Einsatz von Robotern in der Produktion (und darüber hinaus) oder das autonome Fahren, alles wird vernetzt und digital gesteuert und immer mehr Geräte werden ans Netz gebracht.
Trotz seines militärischen Hintergrundes wurde das Internet in seinen Anfängen als ein emanzipatorisches Medium gefeiert, das uns aus dem ganzen Ausbeutungs- und Unterdrückungsschlamassel endlich ausbrechen lassen sollte. Heute wissen wir: Das ist in keiner Weise passiert. Der Kapitalismus hat das Internet vereinnahmt, so wie er sich andere emanzipatorische Entwicklungen vor und nach dem Internet ebenfalls einverleibt hat. Der Kapitalismus hat kein Problem damit, digital zu werden.
Doch was heißt all das für unsere linke Praxis?
Fridays for Forderungen – ein Beispiel
Nach der Rettung des Hambacher Waldes fragte sich ein Teil der Klimabewegung und auch der radikalen Linken: Wie weiter, wie anknüpfen an die Kämpfe im Hambi? Schließlich ist die Bewegung größere »Erfolge« nicht mehr gewohnt. Umso überraschter war sie, genauso wie der Großteil der Öffentlichkeit, als Anfang 2019 plötzlich die als allzu unpolitisch geltenden Schüler*innen freitags begannen nicht mehr in die Schule zu gehen, sondern Demonstrationen für mehr Klimaschutz organisierten und den Kampf um den Hambi fortsetzten.
Mit ihren Streiks hat die Fridays for Future-Bewegung ein klares Signal gesetzt, nämlich das der radikalen Verweigerung. Sie organisierten nicht nur Demonstrationen, sondern wählten mit dem Schulstreik ein Mittel des zivilen Ungehorsams. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob alle, die mitgemacht haben, das auch so gesehen haben. Im Angesicht der Klimakatastrophe entzogen sich die Schüler*innen freitags dem Unterricht, und damit auch der Verwertbarmachung durch die neoliberale Bildungspolitik, die sie letztendlich auf genau das System vorbereiten soll, das den Planeten zerstört. Leider bröckelte diese Form der Verweigerung schließlich unter dem zunehmenden Druck aus Politik und Medien: Sagt doch endlich einmal, was ihr konkret wollt! Macht positive Vorschläge! Und schon war FfF drin in der Forderungskatalogmaschinerie auf Bundesebene (Kohleausstieg bis 2030), aber auch auf lokaler Ebene (autofreie Innenstädte). Gegen eine autofreie Innenstadt ist an sich nichts einzuwenden (ok, auch sie bleibt der kapitalistischen Warenlogik verhaftet), doch finden wir diese Politik der Forderungskataloge aus verschiedenen Gründen problematisch.
Eine radikale Klimabewegung sollte Regierungen und ihre Autorität als Teil des Problems und nicht ihrer Lösung sehen. Durch konkrete Forderungen an diese wird jedoch deren Machtposition gestärkt und nicht infrage gestellt. Verbunden damit ist auch eine Vereinnahmung der Proteste. So dürfen beispielsweise bei den FfF-Protesten in einigen Städten zwar andere Klima- und Politikgruppen keine Flugblätter verteilen oder Plakate zeigen, gleichzeitig gibt es aber medienwirksame Auftritte mit Umweltministerin oder Oberbürgermeister*innen. Die von FfF ständig als nicht handelnde und unwissend dargestellten Politiker*innen werden zwar als Teil des Problems benannt, aber zugleich bestätigt. Die doppelte Rolle der Politiker*innen als Minister*in oder Bürgermeister*in, aber gleichzeitig Wahlkämpfer*in von CDU und SPD wird übersehen, und so können sich Amtsträger*innen in vielen schönen Pressefotos mit FfF-Aktivist*innen als klimabewusst und umweltfreundlich gerieren. Entscheidend für das Starkwerden von FfF war nicht das Aufstellen konkreter Forderungen, sondern die Sichtbarmachung eines grundlegenden Problems und – auch wenn dies in seiner Tragweite nicht allen bewusst war – vermittelt über den Schulstreik das System anzukratzen (Wofür denn Bildung angesichts der Klimakatastrophe?). Medien und Politiker*innen blieb nichts anderes übrig, als die Schüler*innen möglichst schnell wieder einzufangen. Und das bekannte Mittel gegenüber sozialen Bewegungen lautet: Stellt Forderungen und sagt konkret, was ihr wollt.
Klassenunterschiede lassen sich aber nicht mit Forderungen bekämpfen. Ihre Abschaffung kann nur das Ergebnis gesellschaftlicher Kämpfe sein. Denn gestellte Forderungen werden bald zu Umsetzungsvorstellungen und dann zu einer Politik der vielen kleinen Schritte. Für diese Politik scheint es ein schlagendes Argument zu geben. So wird, beispielsweise von Parteien wie den Grünen oder NGOs, behauptet, man könne jetzt nicht den Kapitalismus und die Revolutionierung der gesamten Wirtschaft durchführen, weil man aufgrund der Klimakrise nur noch wenig Zeit habe. Stattdessen solle man lieber mit vielen kleinen Schritten die Wirtschaft nachhaltiger machen. Diese Argumentation wird gebetsmühlenartig seit dreißig Jahren wiederholt – mit genau dem gegenteiligen Effekt. Wir sagen, dass gerade die knappe Zeit ein Argument für die radikale Umgestaltung, den Bruch ist: Es wird nicht gelingen, einen nachhaltigen Kapitalismus zu installieren. Gerade deshalb ist es jetzt um so dringlicher, auf den Bruch mit dem Kapitalismus zu setzen und diesen voranzutreiben. Stattdessen wird für die Umgestaltungsprozesse in den letzten Jahren zunehmend der Begriff der Transformation verwendet. Der klingt schön und irgendwie akademisch, wahrscheinlich nicht zuletzt, weil sich jede*r etwas anderes darunter vorstellen kann. Machtfrage und Besitzverhältnisse sowie eine revolutionäre Perspektive bleiben dabei allzu oft ausgeklammert.
Auch eine internationalistische Perspektive geht bei Forderungen, die sich primär an die bundesdeutsche Öffentlichkeit richten, schnell unter – ebenso wie eine umfassendere Analyse der globalen Verhältnisse. Ein einfaches Beispiel: Werden in Deutschland weniger Öl, Gas und Kohle verbrannt, sinken die Preise für fossile Brennstoffe, sodass sie in anderen Teilen der Welt stärker genutzt werden als zuvor, weil sie billiger sind. Aber wir wissen: Klimagerechtigkeit gibt es nur global.
Eine Frage, die mit der fehlende internationalistische Perspektive verknüpft ist, ist die nach der »persönlichen Betroffenheit«. Zwar wird gebetsmühlenartig wiederholt, die Klimakrise betreffe uns alle. Diese Aussage jedoch führt uns in die Fallstricke bürgerlicher Politik mit ihrer Konzentration auf die bürgerliche Moral. Sie verschleiert zudem die Unterschiede. Während selbst in den Hitzesommern die Angehörigen der Mittelschichten (und damit auch die meisten von uns) sich Abkühlung in den Bergen oder am Meer gönnen können, sind Millionen auf der Flucht und Tausende sterben. Diese Unterschiede sind es, die durch Formulierungen wie »Wir sitzen alle in einem Boot« verschleiert werden. Die Klimakrise hebt die Klassenunterschiede nicht auf, sondern verschärft sie.
Linksradikale Klimapolitik
Eine linksradikale Klimapolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht einfach aus dem Bestehenden ableiten lässt, weil ihr Bezugspunkt immer ein Anderes und ein Mehr jenseits des bestehenden Zustands, des Staates oder Status quo ist. Sie bleibt darauf ausgerichtet, dass ihr eigentliches Ziel etwas ist, das über diesen Zustand hinausweist, nämlich eine Welt ohne Kapitalismus. Das hat nichts mit einem antikapitalistischen Habitus zu tun, sondern mit der Überzeugung, dass das Klima, ja die ganze Welt, innerhalb der kapitalistischen Vergesellschaftung nicht mehr zu retten sind. Wenn also auf Rettung zu hoffen ist, dann nicht dadurch, dass gute Forderungen gemacht werden, die uns in kleinen Schritten einer grundsätzlichen Veränderung entgegenbringen, auf die der Kapitalismus sich gefasst machen muss. Das wäre naiv. Die Hoffnung gründet sich vielmehr darauf, dass eine Überwindung des kapitalistischen Ganzen nicht nur dringend notwendig, sondern auch möglich ist, auch wenn es dazu einen Bruch mit dem Bestehenden braucht, den wir natürlich nicht einfach aus eigener Kraft herbeiführen können.
Wir können und müssen aber als Linksradikale die Möglichkeit eines solchen Bruchs offen halten und seine Notwendigkeit deutlich machen, uns und anderen. In dieser Weise setzen wir an den Wurzeln an. Eine Forderung mit utopischen Überschuss ist in solcher Logik nicht einfach eine, die systemimmanent kaum zu erfüllen ist, sondern eine, in der ein Jenseits des Systems utopisch aufleuchtet. »System change not climate change« ist eine Forderung der Klimabewegung, die ein solches Potential aufweist, aber nur, wenn wir daran festhalten auszubuchstabieren, was es bedeutet, das System zu ändern, wenn wir Phantasien dazu entwickeln, die deutlich machen, dass es nicht um einen grüneren Kapitalismus geht, sondern um Orte jenseits davon. Da wir dieses Jenseits aber nicht kennen, ist es nur bedingt sinnvoll, es im Einzelnen auszumalen: Zu groß ist die Gefahr, dass wir dabei schon wieder unseren Projektionen erliegen, weil wir uns vielleicht gar nicht recht vorstellen können, wozu die Menschen jenseits der kapitalistischen Traurigkeit fähig werden.
Anziehender also als solche Erzählungen darüber, wie wir in Zukunft die Bedürfnisse organisieren wollen, wobei wir doch kaum wissen können, wie Bedürfnisse jenseits des Kapitalismus erzeugt und befriedigt werden, ist es doch, wenn wir Wege finden, in unseren Aktionen und Handlungen heute schon einen utopischen Überschuss zu transportieren. Das gelingt manchmal auf Polit-Camps, z.B. auf Klimacamps, wenn solidarische Formen des Zusammenlebens erprobt werden. Wichtig bleibt aber dabei, dass dieses Zusammenleben seine subjektive Dimension nicht verliert: es geht nicht darum, das beste Angebot oder Bild zu machen, für die anderen, die Aktivistis, die Presse, die Welt draußen, jedenfalls nicht an erster Stelle, sondern darum zu erproben, wie wir gemeinsam leben wollen.
Ein Gespür für dieses subjektive Moment zeigen sicher, bei allen Schwierigkeiten, die Besetzer*innen des Hambacher Forstes, die ihren konkreten Widerstand für den Wald ja gleichzeitig mit einem großen Experiment eines Lebens jenseits kapitalistischer Verwertungslogiken verbinden, das sich auch nicht einfach vom neoliberalen Kapitalismus wieder vereinnahmen lässt. Dass der Hambi für viele zu einer Art utopischen Ort wurde, liegt neben aller Projektion sicher auch daran, dass durch die Waldbesetzung deutlich wurde: Hier geht es nicht nur um ein Stück Wald. Das Klima weltweit und der Kapitalismus werden hier mitverhandelt. Die große Frage, die der Widerstand im Hambi und die Besetzung hervorgerufen haben, war für viele: »Leben wir eigentlich gerne im Kapitalismus? Wie stellen wir uns ein Zusammenleben der Menschen in Würde, Gerechtigkeit und Freiheit vor? Wie wehren wir uns gegen den Kapitalismus und einen Staat, der solches Leben gerade verunmöglicht?« Auch unsere linksradikale Klimapolitik sollte sich daran messen lassen, inwiefern sie Menschen ermöglicht, solche Fragen zu stellen und somit zu Subjekten zu werden, die dafür kämpfen, dass diese Fragen nicht ohne Antwort bleiben. Es muss ihr darum gehen, die Möglichkeit für eine grundsätzliche Umgestaltung der Gesellschaft zu eröffnen. Wir werden kaum ungeschoren aus der Klimakrise herauskommen. Auch deshalb ist ein radikaler Bruch mit dem Kapitalismus nötiger denn je. Und genau deshalb darf die Idee des Kommunismus nicht aufgegeben werden!