Der Münsteraner AfD-Kreisverbandssprecher und Ratsherr Martin Schiller hat Anfang der Woche seinen Austritt aus der AfD erklärt. Damit verliert die Partei in Münster ihren bekanntesten Vertreter und auch ihr Mandat im Rat, dass Schiller fortan als Parteiloser ausüben will. Zuvor hatte Alexander Leschik, einer der stellvertretenden Sprecher, die Partei verlassen. Weitere Mitglieder könnten folgen, der Kreisverband steht vor einem Umbruch. Die Austritte sind Resultat heftiger Verwerfungen innerhalb der regionalen Parteistrukturen.
Kurz nach dem AfD-Parteitag in Siegen erklärte Schiller seinen Austritt. Die Versammlung habe gezeigt, dass es für ihn „in der AfD keine Perspektive und keine gestalterische Zukunft mehr“ gebe, teilte er bei Facebook mit. Themen wie Steuerpolitik, die ihm wichtig seien, fänden unter den Delegierten keine Mehrheiten. Diese tendierten zu „völkischen Themen, Zuwanderungskritik und überzogenen Maximalforderungen“. Schiller sah sich selbst stets als „Bürgerlichen“ und gehörte zeitweise der „Alternativen Mitte“, einem AfD-internen Zusammenschluss von „Flügel“-Gegner*innen, an. Später zählte Schiller zu der Fraktion innerhalb der nordrhein-westfälischen AfD, die 2019 auf die Absetzung des „Flügel“-Mannes Thomas Röckemann als Landessprecher hinarbeiteten. Mit der Wahl von Rüdiger Lucassen als Landessprecher, der als Gegenkandidaten zu Röckemann angetreten war, wurde Schiller zu dessen Stellvertreter im Landesvorstand.
Kein Fan von Höcke
Mit den Höcke-Fans ist Schiller tatsächlich nie richtig warm geworden. In den letzten Jahren hat er sich unter den „Flügel“-Anhänger*innen viele Feinde gemacht. Davon zeugte unter anderem der Konflikt mit dem „Flügel“-dominierten Bezirksverbands Münster, der 2020 erfolglos versuchte, Schiller zur Niederlegung seines Postens als Münsteraner Kreisverbandssprecher zu nötigen. Schiller hatte zuvor ebenso erfolglos versucht, den Bezirksverbandssprecher Steffen Christ aus der Partei auszuschließen. Im Konflikt wurden von allen Beteiligten sämtliche Register gezogen, etwa als ausgerechnet der „Flügel“-dominierte Bezirksverband gegen Alexander Leschik dessen frühere Beziehung zur „Identitären Bewegung“ ins Feld führte, die er beim Eintritt in die AfD verschwiegen habe.
Dennoch ist es ein Fehlschluss, Schiller aufgrund seiner Gegnerschaft zum Höcke-Lager als „moderaten“ AfDler zu bezeichnen. „Moderat“ erscheinen AfD-Funktionäre wie Schiller lediglich im Verhältnis zu Parteifreund*innen, deren politische Äußerungen noch rabiater und offensiver sind. Aber auch Schiller konnte die Klaviatur des alle AfD-Lager verbindenden Rassismus und völkischen Nationalismus spielen, genauso wie er politische Gegner*innen vielfach in herabwürdigender Weise angriff. Wenn sich inhaltliche Differenzen aufmachen lassen, dann zeigen sich am ehesten in Fragen der Wirtschaftspolitik, wo Schiller als selbsternannter Vertreter des „Mittelstands“ zu marktradikalen Positionen tendierte und einem „Sozialpatriotismus“, wie er vom „Flügel“ proklamiert wurde, nicht viel abgewinnen konnte.
Zudem ging es um die Frage, welche Strategie für die AfD die erfolgversprechendere ist. Während ein Teil der nordrhein-westfälischen AfD-Mitglieder sehnsuchtsvoll in die ostdeutschen Bundesländer blickt und die Ansicht vertritt, dass die Kopie des dort praktizierten möglichst radikalen und explizit systemfeindlichen Auftretens sie auch im Westen auf die Erfolgsspur führt, wollte Schiller stets, dass die AfD als bürgerlich-konservative Kraft wahrgenommen wird – gleichwohl sie dies auch in Münster inhaltlich nicht war. Und auch Schillers Image als „bürgerlicher“ Unternehmer und Politiker bekam große Risse, spätestens als er im November 2019 wegen Körperverletzung verurteilt wurde, was ihm in linken Kreisen den provozierenden Spitznamen “Prügelmartin” einbrachte.
Die Gründe für Schillers Austritt dürften aber woanders liegen: Beim Parteitag in Siegen scheiterte er mit seiner Kandidatur für einen aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl. Der Traum vom Bundestagsmandat war bereits 2017 einmal geplatzt, als das AfD-Wahlergebnis knapp nicht ausreichte, um ihn in das Parlament zu bugsieren. Der Parteitag in Siegen zeigte aber, dass ihm aktuell der Rückhalt im Landesverband fehlt, um überhaupt auf einen Listenplatz gewählt zu werden. So beklagt er in seiner Austrittserklärung nun die „hoffnungslose Zerstrittenheit“ und „tiefe Gräben“ in der Partei. Besonders enttäuscht zeigt er sich vom Landessprecher Lucassen, dem er „die Zerschlagung und anschließende Bekämpfung des einst wirkungsstarken bürgerlichen Lagers“ vorwirft. Tatsächlich geriet Schiller zwischen die Fronten des aktuell immer unübersichtlicheren Machtkampfes im Landesverband. Er hatte sich offenbar verkalkuliert.
Austritt vor Abwahl
Auch im eigenen Kreisverband sammelten sich die Kritiker*innen. Wie der Blog „Wiedertäufer“ berichtete, kam Schiller mit seinem Austritt wohl seiner Abwahl zuvor. Elf Parteimitglieder, darunter der stellvertretende Sprecher Holger Lucius, hatten einen außerordentlichen Parteitag zur Abwahl des Vorstands beantragt. Das desaströse Ergebnis bei der Kommunalwahl im Herbst letzten Jahres hatte die Konflikte im Kreisverband angeheizt. Statt der anvisierten zwei zusätzlichen Ratsmitglieder brachte die Wahl Verluste von Stimmen und eines Mandats. Das Büro in der Leostraße 16 musste aufgegeben werden und zwischen Schiller und seinem vormaligen Ratskollegen Richard Mol entwickelte sich eine öffentlich ausgetragene Schlammschlacht, in der Dossiers und interne Unterlagen kursierten, Strafanzeige gestellt und Unterlassungserklärungen unterzeichnet wurden. Schiller hatte Mol des Diebstahls von Mitgliederdaten bezichtigt. Mol wiederum behauptete, Schiller habe seinen Laptop gehackt. Aufgrund einer anonymen Anzeige ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Schiller, weil er als Mitarbeiter seiner eigenen Ratsgruppe angestellt war und von dieser monatlich 1.190 Euro brutto erhielt.
Auch Mol war angestellter seiner eigenen Ratsgruppe. Dies ist ein fragwürdiger Vorgang, schließlich waren beide als Mandatsträger in den Rat gewählt und bekamen für ihre Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung gezahlt. Selbst bei der für ihre „Selbstbedienungsmentalität“ bekannten Rechtspopulist*innen von „pro NRW“ ist eine vergleichbare Praxis nicht bekannt geworden. Hier fanden sich stattdessen eher Verwandte oder Lebenspartner*innen als bezahlte Mitarbeiter*innen. Und die NPD praktizierte in einigen Fällen die – formal korrekte – Lösung, dass Mandatsträger*innen als Mitarbeiter*innen einer anderen Ratsgruppe in der Nachbarstadt angestellt wurden.
Neben Schiller ist auch Alexander Leschik, nach eigenen Angaben bereits im April, aus der Partei ausgetreten. Leschik gilt als politischer Ziehsohn von Schiller und hatte als Listenplatz-Zweiter vergeblich auf einen Sitz im Stadtrat gehofft. Leschik, der sich bereits als Jugendlicher in den Reihen der „Jungen Alternative“ organisiert und zeitweise sogar deren Bundesvorstand angehört hatte, war für die AfD in die Bezirksvertretung Hiltrup gewählt worden. Nun sitzt er dort als Parteiloser. Da auch der Bezirkvertreter Christoph Witold Leschik, Vater von Alexander Leschik, nicht mehr als AfD-Vertreter auftritt, ist Ralf Pöhling der letzte verbliebene AfD-Vertreter in den Bezirksvertretungen. Ein Austritt von Pöhling ist unwahrscheinlich.
Nur noch drei von acht: Kreisvorstand Münster zerfällt
Auch der Vorstand des Kreisverbands ist stärker zusammengeschrumpft. Auf der Internetseite werden aktuell nur noch Holger Lucius als stellvertretender Sprecher, Michael Jahn und Andreas Döring (pseudoanonymisiert als „A. Dör“) als Beisitzer aufgeführt. Bei seiner Wahl im Januar 2020 bildeten noch acht Männer den Vorstand. Nicht mehr als Vorstandsmitglieder geführt werden derzeit Gregor Roer, Volker Blomeier und Henrik Heimann. Heimann war im Frühjahr als Schatzmeister durch Karl-Heinz Kramer ersetzt worden. Kramer musste seine Kandidatur zur Kommunalwahl zurückziehen, als bekannt wurde, dass er neonazistische Inhalte bei Facebook verbreitete. Im Wahlkampf war er als Hilfe aber dennoch gerne gesehen. Nachdem er im April erneut Schlagzeilen wegen Äußerungen bei Facebook machte, in denen er Polizist*innen mit KZ-Aufsehern und Mauerschützen verglichen hatte, trat er aus der Partei aus.
Aus Sicht der AfD muss nun ein neuer Vorstand gebildet werden, allerdings ist die Personaldecke geschrumpft und es stellt sich die Frage, ob bislang nicht öffentlich als AfD-Mitglieder aufgetretene Personen ausgerechnet jetzt aus der Deckung treten wollen. Zumindest mit einer öffentlichen Aktion ist die AfD in dieser Woche aber in Erscheinung getreten. Vor der JVA an der Gartenstraße wurde unter Teilnahme der Abgeordneten Michael Espendiller, MdB und Sven Tritschler, MdL eine Kundgebung in Solidarität mit einem dort einsitzenden GEZ-Verweigerern abgehalten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk taugt weiterhin als Feindbild. Ungefähr 17 Personen nahmen daran teil und zeigten Schilder, auf denen etwa zu lesen war „Seit 3 Monaten Gefangener des WDR“. Auch Karl-Heinz Kramer war unter den Protestierenden.
Der „Kronzeuge“ schreibt ein Buch
Während Schiller angekündigt hat, sich künftig stärker um Familie und Unternehmen kümmern zu wollen, sucht Alexander Leschik die öffentliche Bühne. Der Europa-Verlag gab jüngst die für Juli 2021 geplante Veröffentlichung eines Buches bekannt, dass Leschik zusammen mit dem ehemaligen „Jungen Alternative“-Funktionär Nicolai Boudaghi und einem Journalisten verfasst. Die beiden ehemaligen Funktionäre werden als „Kronzeugen“ angekündigt, die mittels interner Papiere und Chats „verborgenen Absichten der AfD“ enthüllen werden. Die Schlammschlacht geht also weiter. Diesmal in Form einer Abrechnung von Leschik mit seinen ehemaligen Parteikameraden. Ob sich in dem Buch tatsächlich neue Erkenntnisse über eine Partei finden werden, die ihre Absichten seit langer Zeit nicht wirklich verbirgt, bleibt abzuwarten. Leschik hofft offenbar auf Aufmerksamkeit. Die „Autoren stehen für Veranstaltungen zur Verfügung“, kündigt der Verlag an. Die große Bühne sollte diesen Herren nicht ausgerollt werden. Der Bedarf an „Aussteiger*innen“ mit Geltungsdrang ist bereits gedeckt.