Wenn am 24. Februar an vielen Orten in Deutschland, so auch zwischen Münster und Osnabrück, „Friedenskundgebungen“ stattfinden, die keinen Versuch unternehmen zu verstehen, was passiert, keine Zusammenhänge herstellen, so ist das nichts anders als die Kapitulation vor einem Geschehen, das Krieg heißt. Übrig bleibt: für Frieden irgendwie, vom Kegelclub bis zum Bundesligaverein. Ob für oder gegen Waffenlieferungen, für oder gegen den Krieg, ist letztlich gleichgültig! Hauptsache irgendwie für Frieden! Und: Hauptsache viele!
So heißt es im Aufruf:
„Wir rufen die Menschen auf, in einer Friedenskette zwischen Münster und Osnabrück ein gemeinsames Zeichen zu setzen für den Frieden.“
Und dann wird weiter unten das „Zeichen“ mit einem „Wunsch“ verbunden: für „weltweite Niederlegung der Kriegswaffen“, „Verhandlungen“, „weltweite Abrüstung“, „Abschaffung der Atomwaffen“ und der „Schutz von Klima und Umwelt“ darf auch nicht fehlen.
Man setzt ein Zeichen, bringt einen Wunsch zum Ausdruck. Gegen das, was „Zeitenwende“ bedeutet, ist das Zeichen ein Witz. Die Zeitenwende manifestiert sich im Krieg ganz materiell und worum es jetzt gehen muss, ist die neue Ordnung, die im Entstehen begriffen ist – nicht erst seit dem Beginn des Krieges – zurückzuweisen und ihr nicht auf die eine oder andere Weise entgegenzukommen.
In der Friedenskette von Münster nach Osnabrück begegnen sich die beiden unterschiedlichen Weisen, auf diese sich verändernde Ordnung zu antworten, stehen hier sozusagen Seit an Seit.
Die einen stehen da und fordern Panzer, Flugzeuge, Raketen und die Ankurbelung der Munitionsproduktion. Die anderen bilden das legitime Gegengewicht, weil ja der Frieden nicht vergessen werden darf. Aber vergessen wird, dass die Grundordnung eine des Nicht-Friedens ist. Beide eint der fromme „Wunsch“ nach Frieden. Von einer Kritik an dem, was geschieht, bleibt nichts übrig.
Aus „Krieg dem Krieg“, aus der Unversöhnlichkeit gegenüber denjenigen, die diesen und andere Kriege führen, wird nicht einmal eine politische Forderung (zum Beispiel sich ernsthaft und prioritär für Verhandlungen einzusetzen), sondern lediglich ein „Wunsch“ – Bankrotterklärung jeglichen politischen Handelns und unhaltbar für jeden/jede, der/die überhaupt ansatzweise von sich sagen wollen, sie seien „links“
Aus dem Aufruf bleibt das Zeichen übrig, wenn Schulklassen zu der Menschenkette gekarrt werden, wenn sich die Busse der Grünen Richtung Menschenkette in Bewegung setzen, wenn die Industrie- und Handelskammern sich für diese Menschenkette einsetzen.
Was soll das überhaupt bedeuten, ein Zeichen für den Frieden zu setzen? Dieses Zeichen ist leer, weil es nichts bedeutet, weil es für keine Handlung relevant ist, weil es auf einen Wunsch reduziert wird, den jeder haben kann und die meisten tatsächlich haben, weil er nichts kostet.
Hierin liegt der entscheidende Unterschied, zu dem, was auf beeindruckende Weise ein Text von Borchert vermittelt:
„Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern Stahlhelme und
Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!“
(Wolfgang Borchert: dann gibt es nur eins, https://www.deutschelyrik.de/dann-gibt-es-nur-eins.html)
Borchert nennt all die, die vielleicht auch den Wunsch nach Frieden haben: den Mann an der Maschine, die Frau im Büro oder hinter der Ladentheke, den Piloten, den Forscher, den Dichter, die Mutter, aber er bleibt bei dem Wunsch nicht stehen, sondern er ruft auf: „Sag Nein“ – klar und deutlich – das ist der Unterschied. Bei der Friedenskette muss niemand „Nein“ sagen.
Es geht lediglich darum ein Zeichen zu setzen, mit Walter Benjamin gesprochen, die Menschen „zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen“. Die Friedenskette ermöglicht es, Gefühle des Mitleids, der Empathie, Wünsche des Friedens, vielleicht auch ein Unbehagen mit den kriegerischen Zeiten zum Ausdruck kommen zu lassen. Ein universelles Menschenrecht zu erkämpfen, auf Frieden, auf das Ende dieses Kriegs, von Krieg überhaupt, davon nimmt sie Abstand – in Form und Inhalt ist sie davon weit entfernt. Wo es aber um Ausdruck geht, nicht um die Durchsetzung von Rechten, da droht Politik der Ästhetik zu weichen. Angesichts des Faschismus warnte Benjamin vor einer „Ästhetisierung der Politik“, die letztlich im Krieg ihren höchsten Ausdruck findet. Es wäre zu bedenken, was das heute für uns bedeuten kann.
Wenn wir uns also nicht mit einem ritualisierten Ausdruck begnügen wollen und angesichts dieser beschissenen Verhältnisse, gegen die wir im Moment nur wenige Möglichkeiten sehen etwas zu tun, was wäre dann zu sagen? Was würde es bedeuten heute NEIN zu sagen, zu diesem Krieg, zu jedem Krieg, und zu jener kapitalistischen Ordnung, die der Kriege bedarf?
Das Mindeste wäre, klar und deutlich zu sagen:
Die Waffen müssen schweigen! Sofort!
Autor*in
exil