Machtmissbrauch an der Kunstakademie Münster - Von Betroffenheit zur Institutionskritik!

Der folgende Text ist ein Rückblick auf einen gestarteten Diskurs über den Umgang mit Fällen von Machtmissbrauch an der Kunstakademie Münster und darüber hinaus. Er darf als Beispiel einer strukturellen Analyse, aber auch als empowernden Appell dienen, feministische Interventionen an derartigen Institutionen zu führen. Des Weiteren ist seine Veröffentlichung an einen Spendenaufruf geknüpft, bei dem Geld für eine von Repression betroffene Studierende gesammelt wird.  Für uns ist er auch ein Aufruf an andere Studierende und Supporter*innen, diese Kämpfe weiterzuführen. Vor allem im Hinblick auf die begrenzten Ressourcen und enormen Belastungen, denen Mitglieder unserer Gruppe ausgesetzt waren, muss der Diskurs in Zukunft weitergetragen werden.

 

 

Was ist konkret passiert?


In den ersten Monaten des Jahres 2020 brach eine kontroverse Diskussion in Bezug auf Fälle von Machtmissbrauch an der Kunstakademie Münster aus. Die Machtmissbrauchsfälle fanden in einem vermeintlich "familiären" Klima statt, das heißt Professor*innen und Studierende begegnen sich an der Hochschule weitestgehend informell. In aufgelockerten Kontexten nach Kolloquien und Lectures oder bei Weihnachtsfeiern werden gemeinsame Abende verbracht, die eine beinahe freundschaftliche Atmosphäre haben können.
Als Reaktion auf mehrere Machtmissbrauchsfälle, sowie den Umgang der Akademie mit diesen, gründete sich eine anonyme Gruppe gegen Machtmissbrauch. Konkret ging es um die Auseinandersetzung mit Fällen, wie das Ausnutzen der eigenen Machtposition und sexueller Übergriffe, sowie offene sexistische und rassistische Diskriminierungen in Kolloquien durch Professor*innen und auch Studierende, Mobbing oder sogar das ausnutzende Verhalten älterer Studierender gegenüber Studierenden am Anfang des Studiums. Genauso wichtig wie die Fälle selbst wurde auch das Verhalten einiger institutioneller Mitglieder im Nachgang gegenüber Betroffenen. Damit gemeint sind zum Beispiel das Leugnen der Taten, Victim-Blaming, Täter-Opfer-Umkehr, Gaslighting, und eine regelrechte Jagd auf die Mitglieder der anonymen Gruppe. Hinzu kamen interne Verfahren, die für Betroffene retraumatisierend waren und zu keinen Konsequenzen für die Täter*innen führten, oder sogar Geldangebote, um Betroffene zum Schweigen zu überreden.

Dies offenbarte eine Struktur, in der Fälle wie diese überhaupt erst möglich wurden. In einer altehrwürdigen Institution, die ihre Machtgefälle so schützt und gleichzeitig versucht zu verwischen, können Täter*innen ihre Macht mit großer Selbstsicherheit ausüben, und wähnen sich sicher gegenüber den Konsequenzen ihres Handelns. Nicht nur das, sie fühlen sich so sicher und bestätigt in ihrer Position, dass sie mit gutem Gewissen versuchen, diejenigen zu silencen, die sich weigern, die geschehenen Taten länger zu verschweigen.

Konsequenzen dieser Struktur waren und sind für Betroffene, sowie solidarische Studierende, unter anderem ein allmählicher, oder sogar abrupter Rückzug aus der Akademie. Dieser Rückzug ist eng verwoben mit der Unmöglichkeit, gewisse institutionelle Angebote wahrzunehmen, in denen die Täter*innen weiterhin Macht ausüben dürfen. Außerdem führen die Ereignisse zu einem Stigmatisierungsprozess von Betroffenen, die nicht länger schweigen wollen, und setzen diese einer enormen psychischen Belastung aus. Das Studium wie vorgesehen zu absolvieren, war in vielen Fällen nicht mehr möglich. Es kam zu Klassen- und Hochschulwechseln. Auch über das Studium hinaus kann das Benennen von Machtmissbrauch Konsequenzen für Studierende haben, die auf die Empfehlung ihrer Professor*innen für Förderungen und Stipendien angewiesen sind.

 

Wer ist die Gruppe gegen Machtmissbrauch?


Die Gruppe gegen Machtmissbrauch gründete sich Anfang 2020 unter Studierenden, die in voller Solidarität mit Betroffenen emotionaler, psychischer und sexualisierter Gewalt an der Hochschule handeln wollten. Es ging darum, den Betroffenen bedingungslos zu glauben, zu versuchen ein anonymes Sprachrohr zu sein, damit Täter*innen an der Hochschule nicht weiter vom Schweigen profitieren können. Die Gruppe wollte sich für ihr Recht auf ein Studium ohne sexuelle Übergriffe, rassistische und sexistische Diskriminierung und andere Formen von Machtmissbrauch einsetzen. Geleugnete Machtgefälle sollten sichtbar gemacht und auf die Verantwortung derjenigen, die mit dieser Macht ausgestattet sind, hingewiesen werden. Nicht zuletzt sollte das typische Verhalten gegenüber Opfern sexueller Übergriffe benannt und den Mitgliedern der Hochschule gespiegelt werden, da auch diese Formen patriarchaler Gewalt ausüben und reproduzieren. Aufgrund fehlender Solidarität und Schweigen von der Institution und dem AStA, ging die Gruppe zum Rundgang 2020 an die Öffentlichkeit und versuchte Druck auszuüben, um einen Diskurs in Gang zu bringen. Hierbei handelte es sich um eine Aktion, bei der Flyer anonym nach der Eröffnungsrede zum Rundgang in das Foyer geworfen wurden.

 

Erfolge und Rückschläge


Seitdem Vorfälle im Jahr 2019 das erste Mal öffentlich wurden, gab es auch Versuche, Betroffene, sowie den Diskurs, zu silencen. Schnell sollte wieder "Ruhe" im Hochschulbetrieb einkehren und alles wieder in die alte Tagesordnung übergehen. Der Diskurs wäre ohne die kontinuierlichen feministischen Interventionen der AG gegen Machtmissbrauch niemals so lange und mit so vielen Konsequenzen geführt worden. Die Akademie sah sich gezwungen, sich in einem Rundschreiben zu äußern. Kurz darauf wurde eine Anwaltskanzlei als externe Ansprechpartnerin für Fälle von sexualisierter Gewalt an der Akademie engagiert. Diese stellten als Bedingung für eine Zusammenarbeit verpflichtende Workshops für Professor*innen und Mitarbeiter*innen auf.
Nach einem Rektor*innenwechsel Anfang 2021 wurde zusätzlich ein runder Tisch in Zusammenarbeit mit einer Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt ins Leben gerufen.

Dennoch ist bei allen kleineren Erfolgen eines essenziell: Täter*innen dürfen weiterhin unbehelligt mit ihrer Macht ausgestattet an der Hochschule agieren. Bis heute, im Jahr 2022, gab es keinerlei Konsequenzen für die uns bekannten Täter*innen. Uns bekannte Täter*innen bewegen sich mit derselben Selbstgerechtigkeit, und demselben Erfolg in der Öffentlichkeit, wie zuvor. Das trotz der so oft heraufbeschworenen angeblich zerstörten Karrieren, die so ein Prozess mit sich führen sollte. Doch die neuen Generationen der Kunstakademie wissen noch nicht einmal ihre Namen.

 

Warum brauchen wir unabhängige, anonyme, feministische Gruppen? Mit welchen Repressionen müssen wir als Feminist*innen rechnen?


Nach dem Scheitern des internen Verfahrens wurde die Notwendigkeit einer externen und anonymen Gruppe essenziell. Insbesondere, da es zu dem Zeitpunkt keine externe Anwaltskanzlei als Ansprechpartner*in gab. Die Gruppe war eine Möglichkeit, trotz des bestehenden Machtgefälles und der drohenden Konsequenzen zu agieren. Unabhängigkeit ist ohne Anonymität an hierarchischen Institutionen nicht gegeben. 

Dies wurde insbesondere im Nachgang deutlich, als durch eine Anzeige des damaligen Rektorats ein Exempel an einer Studierenden statuiert werden sollte. In der patriarchalen Machtposition war man sich der Rechtmäßigkeit der bestehenden Strukturen und Verhaltensweisen so sicher, dass diejenigen, die sie benennen, juristisch verfolgt werden sollten. Derartige Gerichtsverfahren bedeuten immer enormen psychischen Stress, finanzielle Belastung, Unsicherheit und Aufwand für die Betroffenen. Sie richten sich aber auch als klare Machtdemonstration gegen alle betroffenen Studierenden und diejenigen, die laut werden gegen Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt. #silencing #rapeculture

Trotz der mittlerweile fallen gelassenen Anzeige, verbleibt die Studierende mit 500 Euro Anwaltskosten, die wir natürlich gemeinsam solidarisch sammeln.

Wir bleiben solidarisch.

Wir bleiben laut.

Wir rufen auch die neuen Studierenden der Hochschule zukünftig auf, den patriarchalen Versuchen des Silencing nicht nachzugeben und sich zu organisieren.

 

Spendenaufruf


Die Repressionskosten wollen wir solidarisch gemeinsam tragen, deswegen rufen wir hier zur Beteiligung auf. Wenn mehr als 500 € zusammen kommen, wird das Geld anderen feministischen/linken/antifaschistischen etc. Aktivist*innen zugutekommen. Wir nutzen für die Spendensammlung das Konto der Schwarz-Roten-Hilfe Münster, die nicht Urheber*innen des Texts sind.

Wir bitten um Überweisung auf folgendes Konto mit dem Betreff "Machtmissbrauch":

Schwarz-Rote-Hilfe Münster

IBAN DE02440100460282052468

BIC PBNKDEFFXXX

Postbank Dortmund

Denn: Widerstand ist nie umsonst! Und Repression kann auch Dich treffen!

Autor*in
Gruppe gegen Machtmissbrauch an der Kunstakademie