Verwerfung statt pathische Projektion? Einige dialogische Überlegungen zum Wahnbegriff bei Horkheimer/Adorno und Lacan.
In Horkheimer/Adornos sozialdiagnostischer Theorie der Moderne nimmt der psychoanalytische Begriff des Wahns einen zentralen Stellenwert ein, um die psychologische Form faschistischer Irrationalität zu theoretisieren. Der zentrale Abwehrmechanismus besonders der antisemitischen Massenpsychose sei die pathische Projektion, durch die verdrängte Eigenanteile einem externen Objekt zugeschrieben werden, an dem sie stellvertretend verfolgt werden können. Einem solchen Wahnbegriff steht scheinbar die Kritik des frühen Lacan an den Psychosebegriffen seiner Zeit entgegen, in der er den klassischen psychoanalytischen Projektionsbegriff als grundsätzlich ungeeignet für das Verständnis von Wahnphänomenen erklärt. Stattdessen führt Lacan mit dem Begriff der Verwerfung einen spezifisch psychotischen Exklusionsvorgang ein, den er von der (neurotischen) Verdrängung unterscheidet. Obwohl es in den vergangenen Jahren verschiedene Versuche gab, die Theorie der pathischen Projektion zu aktualisieren, überrascht es, dass ein Dialog zwischen den scheinbar konträren Positionen von Horkheimer/Adorno und Lacan in der Frage des Wahns ausgeblieben ist. Die Veranstaltung will einen Anfangspunkt für diesen theoretischen Dialog setzen und das psychoanalytische Verständnis des Wahnbegriffs vertiefen, indem sie die Theorie der pathischen Projektion mit Aspekten von Lacans Kritik konfrontiert.
Lilith Poßner studierte von 2015-2022 Kulturwissenschaften und Philosophie an der Universität Leipzig (Abschlussarbeiten: B.A. "Die Politik der beliebigen Singularität. Repräsentationskritik bei Giorgio Agamben"; M.A. "Verwerfung statt pathische Projektion? Dialogische Überlegungen zum Wahnbegriff bei Horkheimer/Adorno und Lacan"). Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Kulturtheorie/Kulturphilosophie und bereitet ein Dissertationsprojekt zum Begriff sozialpathologischen Wahns in der Kritischen Theorie vor.
Publikationen: Poßner, L. Verwerfung statt pathische Projektion? Dialogische Überlegungen zum Wahnbegriff bei Horkheimer/Adorno und Lacan, Oldenburg: Institut für Materielle Kultur. 2022. Im Erscheinen: "On the Psychoanalytical Grammar of Adorno's Theory of Ego Weakness" im Berlin Journal of Critical Theory und "Lustvolles Leid und leidvolle Lust. Begriffliche Überlegungen zur sadomasochistischen Dialektik von Freiwilligkeit und Herrschaft" im Sammelband "Sprachen des Leidens" der Gesellschaft für Philosophie und Wissenschaften der Psyche.