„Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie“. Marx und Engels über sozialreligiöse Bewegungen. Vortrag von Johannes Hauer

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„Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie“. Marx und Engels über sozialreligiöse Bewegungen. 

Vortrag von Johannes Hauer

Do., 25.04.2019

Raum: H2

Zeit: 19 Uhr

In seiner Schrift über die deutschen Bauernkriege des 16. Jahrhunderts charakterisiert Friedrich Engels die revolutionären Theologie Thomas Müntzers als „Antizipation des Kommunismus durch die Phantasie“. Ähnliche Bemerkungen finden sich in Engels‘ Studien zum Urchristentum. Obwohl er sich von Apokalyptik, wirrem Fanatismus und Sündenbewusstsein der christlichen „Unsinnsreligion“ angewidert zeigt, konzediert er „merkwürdige Berührungspunkte mit der modernen Arbeiterbewegung“. Bei beiden handelt es sich um Bewegungen der Armen und Unterdrückten gegen die Alte Welt. Bis weit in die Neuzeit hinein artikulierten plebejische Massenbewegungen ihre Negation der bestehenden Ordnung in religiöser Sprache. Ihr Trachten nach dem Reich Gottes auf Erden, nach radikaler Gleichheit, nicht nur in seelischen, sondern auch in weltlichen Belangen, berief sich auf die biblische Überlieferung. Das Urchristentum und seine Nachfolger sind nichts anderes als der Sozialismus unter den geschichtlichen Bedingungen seiner Unmöglichkeit. 

Am religiösen Sozialismus der Gegenwart ließen Marx und Engels freilich kein gutes Haar, nicht nur dem Kommunistischen Manifest gilt er als Ausdruck restaurativer Tendenzen und einer „Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen“. Religiöse Gestalten des Sozialismus sind nun ein Hemmschuh wirklicher Emanzipation und müssen als politische Gegner bekämpft werden. Aus der „Antizipation des Kommunismus“ wird in der historischen Bewegung ein Atavismus. Somit hat Kritik der Religion einen Zeitkern. Eine Verwerfung der Religion als schlechthin reaktionär ist anachronistisch; anachronistisch ist aber umgekehrt auch ihr Fortleben unter modernen Bedingungen. Zu begreifen ist Funktionswandel der Religion von einem Medium der Klassenauseinandersetzungen zu einem Merkmal reaktionärer Klassen.

Der Vortrag will den skizzierten Gedankengang entfalten und zur Diskussion stellen. Wie begründet sich jene Geschichtskonstruktion? Durch welche Neuerungen wird Religion obsolet? Zehrt sich ihre Substanz vollständig in der wirklichen Bewegung der Geschichte auf oder bleibt ein Rest? Kann der wissenschaftliche Sozialismus die alten Verheißungen einlösen? Soll er das überhaupt?

Johannes M. Hauer hat in Leipzig und Wien Philosophie und Soziologie studiert. Er lebt in Leipzig und arbeitet derzeit an einer philosophischen Promotion zum Entfremdungsproblem im Werk Friedrich Schellings. Er ist Mitglied im Bildungsprojekt translib und veröffentlichte u.a. in den Zeitschriften konkret, Phase 2 und diskus.