Einer kritischen Theorie der Gesellschaft sollte es nicht nur um Gerechtigkeit innerhalb der bestehenden Ordnung gehen, sondern um deren objektive (Ir)rationalität selbst. Um diese zu evaluieren ohne auf dogmatische Thesen über das Wesen des Menschen oder das Ziel der Geschichte zurückzufallen, bedarf es der von G.W.F. Hegel bereitgestellten begrifflichen Mittel. Deshalb ist ambitionierte Gesellschaftskritik notwendig hegelianisch.
Zugleich hadert kritische Theorie schon immer mit ihrem Hegelschen Erbe. Insbesondere wendet sie sich gegen das linear-deterministische Bild einer abgeschlossenen Geschichte. Wie im Vortrag gezeigt werden soll, ist es jedoch nicht die Einsicht in die Kontingenz und Kreativität sozialen Wandels, die kritische Theorie links von Hegel positioniert. Eine Gestalt des Linkshegelianismus ist sie vielmehr deshalb, weil sie die eigene Gegenwart als eine zu transzendierende betrachtet.
Diese Öffnung zur Zukunft führt methodisch weg von Hegel und hin zu einer eher Kantianischen Geschichtsphilosophie: Geschichte und Gegenwart werden betrachtet, wie sie aus der Perspektive eines wünschenswerten zukünftigen Zustands erscheinen würden. Diese Betrachtungsweise soll im Modus selbsterfüllender Prophezeiung zur Realisierung des politischen Ziels beitragen.
Mit diesem konstruktivistischen Moment scheint kritische Theorie in die Nähe einer junghegelianischen »kritischen Kritik« zu geraten, über die sich Karl Marx lustig machte. Letztlich überdeckt die Marxische Polemik aber bloß, dass noch die Kritik der politischen Ökonomie methodisch in ähnlicher Weise zwischen Hegel und Kant steht. Die Einsicht in die Verwandtschaft mit dem Linkshegelianismus des 19. Jahrhunderts ist Voraussetzung dafür, den systematischen Ort kritischer Theorie zwischen Analyse und Antizipation zu bestimmen. Einen Vorschlag dazu stellt der Vortrag zur Diskussion.
Robert Ziegelmann, M.A., forscht zu Formen immanenter Kritik bei Hegel, Marx und Adorno, sowie zur Figur des Utopischen. Er promoviert an der HU Berlin zum Thema »Bestimmende Negation – Radikale Neuheit als rationale Nachfolgeschaft in der Kritischen Theorie« und ist derzeit Fellow am Forschungsinstitut für Philosophie Hannover (fiph).
Hörsaal H3
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