NS-TäterInnen vor Gericht

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Die juristische Verfolgung von NS-Verbrechen ist noch nicht abgeschlossen, gegen rund ein Dutzend mutmaßliche NS-TäterInnen wird noch ermittelt. Entscheidend für die Einleitung dieser letzten Verfahren war ein wegweisendes Urteil, das das Landgericht München 2011 gegen den damals von der SS aus deutscher Kriegsgefangenschaft rekrutierten „Hilfswilligen“ John Demjanjuk fällte: fünf Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord. Ein juristisches Novum: Das Gericht legte für die Verurteilung die bloße Anwesenheit in einem reinen Mord- und Vernichtungslager (in diesem Fall Sobibor), zu Grunde und nicht den konkreten Nachweis eines Mordes. Der Angeklagte sei „Teil dieser Vernichtungsmaschinerie“ gewesen, so der Richter.

Der Vortrag gibt einen Überblick zum Thema juristische Verfolgung von NS-TäterInnen in der Geschichte der BRD und geht dabei anhand von Beispielen auf verschiedene Typen von Täterschaft im Kontext von NS-Verbrechen und deren Ahndung ein. Außerdem wird der Diskurs um die „letzten deutschen NS-Prozesse“ vorgestellt und kritisch reflektiert. Wie kommt es, dass erst jetzt die allerletzten noch lebenden TäterInnen auf die Anklagebank kommen, und warum sind so viele NS-Verbrechen überhaupt nicht geahndet worden? Was bringt es jetzt noch, Greise anzuklagen? Was bedeuten die späten Prozesse für die Angehörigen der Opfer? In welchem Verhältnis steht die Bilanz geahndeter NS-Verbrechen zur Erzählung der gelungenen Aufarbeitung der NS-Geschichte in der BRD?

Die Referentin Sabine Reimann ist Historikerin am Erinnerungsort "Alter Schlachthof" in Düsseldorf.

Veranstalter: AK NS-Geschichte Münster.


Hintergrund:

Ohne dass die Beweisaufnahme beendet werden konnte, musste das Landgericht Münster im April das Verfahren gegen den ehemaligen SS-Mann Johann R. einstellen. Der 95-jährige aus dem Kreis Borkum ist demnach so krank, dass er dauerhaft nicht verhandlungsfähig ist. Damit endete einer der vermutlich letzten Prozesse gegen NS-Täter ohne ein Urteil. Die Hoffnung von Überlebenden, dass der Prozess eine „späte Gerechtigkeit“ schaffen könnte, erfüllten sich nicht. In den wenigen Verhandlungstagen des im Dezember 2018 gestarteten Prozesses konnten die überlebenden Zeug*innen leider nicht gehört werden. Es wurden lediglich die Anklageschrift verlesen, Polizeiermittler als Zeugen gehört und eine Einlassung des Angeklagten vorgetragen, in der dieser jegliche persönliche Schuld von sich wies. Johann R. war angeklagt, von Juni 1942 bis September 1944 als Mitglied der 3. Kompanie des SS-Totenkopfsturmbanns im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig tätig gewesen zu sein. Ihm wurde deshalb die Beihilfe zum Mord in mehreren hundert Fällen vorgeworfen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Angeklagte in seinem gesamten Leben nicht für seine Taten juristisch verantworten müssen. Vielmehr konnte er nach dem Krieg eine respektable bürgerliche Karriere machen. Wir möchten das Ende des Prozesses zum Anlass nehmen, um uns intensiver mit dem KZ Stutthof und der juristischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen befassen.

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