Wohnprojekte kritisieren Wohnbaupolitik der Stadt Münster

Vertreter*innen von Wohnprojekten und Initiativen überreichten am 25.06.2018 einen offenen Brief an OB Markus Lewe. V.l.n.r.: Katrin Steiner und Matthias Kayß (Grafschaft 31), OB Markus Lewe, Dina Hamza (Mauritzgruppe), Francisca Jahn (Grevener Straße 31), Manfred Spitz (Gemein-schaftlich Wohnen e.V.), Wolfgang Bensberg (Mitbegründer des BuWo). Foto: Amira Hammami.
Vertreter*innen von Wohnprojekten und Initiativen überreichten am 25.06.2018 einen offenen Brief an OB Markus Lewe. V.l.n.r.: Katrin Steiner und Matthias Kayß (Grafschaft 31), OB Markus Lewe, Dina Hamza (Mauritzgruppe), Francisca Jahn (Grevener Straße 31), Manfred Spitz (Gemeinschaftlich Wohnen e.V.), Wolfgang Bensberg (Mitbegründer des BuWo). Foto: Amira Hammami

 

Wolfgang Bensberg ist der aufgestaute Ärger deutlich anzumerken. Seit über zehn Jahren kämpft er darum, seine Vorstellungen vom gemeinschaftlichen Wohnen in Münster realisieren zu können – bis heute erfolglos. Die Schuld dafür gibt er vor allem der Politik und Verwaltung: „Nicht die Bürger*innen, sondern vor allem die am Gewinn orientierten Investoren profitieren von der Wohnungspolitik in Münster“. Mit dieser Anklage steht der 65-jährige nicht alleine da.

Am Montag, den 25.06.2018, überreichte er zusammen mit einer Gruppe von neun Wohnprojekten, Initiativen, Vereinen und Verbänden Oberbürgermeister Markus Lewe einen offenen Brief. Mit dem besonderen Blick auf gemeinschaftliches Wohnen kritisieren die Verfasser*innen darin die verfehlte Politik der Stadt Münster zur Förderung günstigen Wohnraums. Trotz jahrelanger Forderungen und konstruktiver Vorschläge seien weder bei den Vergabeverfahren noch bei den Konversionsflächen ernsthafte Fortschritte erzielt worden. Im Gegenteil: „Für bereits in Aussicht gestellte Objekte verlangt die Stadt Münster auf einmal 1.900 € pro Quadratmeter oder mehr“, so Bensberg.

Auch Manfred Spitz vom Verein „Gemeinschaftlich Wohnen e.V.“ ist sauer. Eigentlich war ein geeignetes Grundstück in Mecklenbeck für genossenschaftliche Baugruppen wie die seine vorgesehen. Beim Vergabeverfahren vor zwei Jahren sei aber genau dieser Grund und Boden in einem undurchsichtigen Vergabeverfahren an einen Investor ohne Wohnprojektgruppe gegangen. „Und das, obwohl wir der Stadt seit Jahren die Bude einrennen“, klagt Spitz. Die Vergabepolitik müsse sich endlich an den Möglichkeiten der Menschen orientieren und nicht nur an denen von Investoren“.

Entsprechend dieser negativen Erfahrungen liegt ein Schwerpunkt der Forderungen in der konsequenten Reform der Vergabe städtischen Eigentums: Alle zur Verfügung stehenden Grundstücke sollen nach Konzept vergeben werden - bevorzugt an selbst verwaltete Baugemeinschaften, die gemeinschaftlich und solidarisch finanziert sind, wie z. B. Genossenschaften. Über finanzielle Abschläge bei den Kaufpreisen soll die Stadt diejenigen Initiativen fördern, die dauerhaft gesichert günstigen Wohnraum schaffen oder quartiers- und gemeinwohlorientierte Konzepte verwirklichen. Überhaupt verlangt die Gruppe allgemein tragbare Festpreise und lehnt eine Vergabe nach dem Verkehrswert, der sich an Spekulationsgewinnen orientiert, kategorisch ab. Mit Blick auf positive Erfahrungen anderer Städte wie Hamburg, Amsterdam, Tübingen oder Ulm fordern die Unterzeichnenden des offenen Briefes, Bürger*innen mehr zu beteiligen und es grundsätzlich zu ermöglichen, Grundstücke kleinteilig im Rahmen des Erbbaurechtes zu vergeben.

„Vor allem muss die Vergabe transparent und öffentlich erfolgen. Das ist eine unserer ältesten Forderungen“ ergänzt Matthias Kayß. Im Jahre 2013 gründete er zusammen mit Wolfgang Bensberg und anderen Betroffenen das Bündnis urbane Wohnformen (BuWo). Das Netzwerk organisierte einen erfolgreichen Wohnprojektetag und formulierte einen Bürgerantrag. Kayß selbst lebt mit Katrin Steiner und neun anderen Personen seit Januar 2015 in einem Projekt des Mietshäuser Syndikats. Die „Grafschaft 31“ ist eines von 130 Projekten in ganz Deutschland. Das Besondere daran: Die Bewohner*innen sind Mieter*innen, die in ihren Zimmern zu dauerhaft günstigen Preisen wohnen. Um dieses günstige Wohnen zu ermöglichen, gründete die Gruppe eine eigene GmbH. „Mit dieser Kapitalgesellschaft verdient niemand von uns Geld", stellt Katrin Steiner klar. Sie diene allein dazu, über die Mieten die laufenden Kosten zu decken und weitere Projekte zu ermöglichen.

Francisca Jahn aus dem Wohnkollektiv in der Grevener Straße 31 kritisiert besonders die ungebremst steigenden Mieten in der Innenstadt. Ihr fällt es schwer, den Beteuerungen der Politik Glauben zu schenken. „Jeder günstige und selbst verwaltete Wohnraum in Münsters Innenstadt seit den 1970er Jahren ist uns nicht geschenkt worden. Es ist das Ergebnis langer politischer Kämpfe, auch gegen Politik und Verwaltung“, erklärt Jahn. Bezahlbares und solidarisches Wohnen wie in der „Grevener 31“ dürfe nicht das Privileg weniger Einzelpersonen bleiben.

Einen ganz besonderen Blick auf das gemeinschaftliche Wohnen hat die Beraterin und Supervisorin Dina Hamza. Selbst als Mensch mit Behinderung auf Assistenz angewiesen, sieht sie für sich allein im gemeinschaftlichen Wohnen eine Möglichkeit, gut und nachhaltig in der Stadt zu leben. „Auf ein urbanes Leben mit vielen Menschen um mich, möchte ich nicht verzichten“, stellt Hamza klar.

Warum eine Stadt, die sich bei jeder Gelegenheit für ihre Wohnungs- und Bodenpolitik feiern lässt, aber solchen Gruppen und Organisationsformen nicht mehr Unterstützung zukommen lässt, ist aus Sicht der Verfasser*innen des offenen Briefes unverständlich. Wolfgang Bensberg bringt es auf den Punkt: "Wer sich konkret für die Realisierung gemeinschaftlicher Wohnprojekte mit dauerhaft günstigen Mieten in Münster bemüht, kann sich angesichts solchen Selbstlobs nur die Augen reiben".

Zum Abschied sagt der OB zu, die aufgestellten Forderungen zu prüfen. Man bleibe im Gespräch. Die Gruppe der Unterzeichnenden verspricht, weiter nachzuhaken.

Den Wortlaut des offenen Briefes gibt's hier...

Unterzeichnende:

Die Bewohner*innen der Wohnprojekte:

 

Die Vereine und Wohnprojektinitiativen:

 

Weitere Infos:

 

Autor*in
Es rumpelt im Karton ...