Am 7.10. jährt sich zum zweiten Mal das Gedenken an das antisemitische Massaker des Jahres 2023.
Der 7. Oktober bedeutete eine Zäsur und einen Schock in Israel und für Jüdinnen:Juden weltweit. An einem Tag wurden auf brutalste Weise über tausend Menschen ermordet – die höchste Zahl getöteter Jüdinnen:Juden an einem einzigen Tag seit der Shoah. 239 Menschen wurden als Geiseln verschleppt, und viele Menschen wurden Opfer sexualisierter Gewalt. Das pogromartige Massaker durch die Hamas und andere Gruppierungen war ein Ausbruch genuin antisemitischer Gewalt: Es zielte auf die Demütigung und Vernichtung ab und reaktivierte bewusst intergenerationale Traumata in einer Bevölkerung, die seit Jahrhunderten von Pogromen - bis hin zum Versuch der systematischen Vernichtung in der Shoah - bedroht war und ist.
Das Massaker hatte darüber hinaus die Absicht, die zentrale Funktion des Staates Israel anzugreifen, nämlich Jüdinnen:Juden weltweit einen Raum des Selbstschutzes und der Selbstbestimmung zu gewähren. Damit knüpfte die Tat der Hamas an eine antisemitische Dimension des „Nahostkonflikts“ an, die von Beginn an auch auf die ideologische Ablehnung einer selbstbestimmten jüdischen Präsenz in der Region abzielte und im Kampf gegen den Staat Israel eine Ersatzhandlung für andere Konflikte vollzog. Das Massaker vom 7. Oktober sollte außerdem die voranschreitenden Annäherungs- und Normalisierungsversuche in der Region sabotieren.
Der 7. Oktober machte noch einmal deutlich, warum der Staat Israel existieren muss: mindestens als Mittel, um Jüdinnen:Juden weltweit Schutz zu gewähren. Gleichzeitig wurde spürbar, dass genau dies nicht gesichert ist: Israel muss immer wieder darum kämpfen, ein sicherer Raum für Jüdinnen:Juden zu sein. Nach dem 7. Oktober sah sich Israel mit einem Vielfrontenkrieg konfrontiert. Spätestens seit diesem Tag ist klar: Es darf keine Herrschaft der Hamas in Gaza mehr geben. Für Israel ist es aus guten Gründen nicht hinnehmbar, dass an seiner Grenze ein terroristisches Gebilde unter der Leitung einer faschistisch-antisemitischen, islamistischen Organisation existiert.
Dem 7. Oktober gedenken heißt auch, das Bewusstsein für die Notwendigkeit Israels und seine bleibende Aufgabe wachzuhalten.
Doch das Gedenken findet in diesem Jahr statt, während die Ausmaße der Kriegsfolgen die Existenzgrundlage der gesamten Bevölkerung in Gaza gefährden und Erschütterung sowie Ablehnung gegenüber dem andauernden Krieg hervorrufen müssen. Das Bedürfnis, ein Ende des Krieges zu sehen und der Bevölkerung Gazas Unterstützung zukommen zu lassen, ist berechtigterweise groß. Die Befreiung der Geiseln und die Bekämpfung der Hamas sind hingegen zunehmend nicht mehr eindeutig als tragende Ziele des militärischen Handelns erkennbar. Teile der Regierung und der israelischen Politik – insbesondere um Ben Gvir und Smotrich – bedienen offen eine entmenschlichende, rechte Rhetorik, vermischen die legitimen Sicherheitsinteressen Israels mit Anliegen ganz anderer Natur, nehmen verheerende Konsequenzen für die Bevölkerung Gazas in Kauf, riskieren Israels internationale Isolation und gefährden nicht zuletzt das Leben der Geiseln. Gerade deshalb geht heute ein großer Teil der israelischen Bevölkerung gegen diese Entwicklungen, für die Befreiung der Geiseln und für ein Ende des Krieges in seiner aktuellen Form auf die Straße.
Solidarität mit Israel als Mittel zur Selbstemanzipation von Jüdinnen:Juden, Sorge um die Sicherheitslage und Solidarität mit den Geiseln bedeutet auch eine kritische Betrachtung genau dieser Entwicklungen in Israel, die zuletzt tatsächlich dem Sinn Israels selbst und dem Zionismus widersprechen.
Dem 7. Oktober zu gedenken heißt daher auch: sich der falschen Assoziation zu entziehen, die zunehmend durch den öffentlichen Diskurs aufgedrängt wird – nämlich, dass die Unterstützung Israels und seiner Sicherheitsinteressen gleichbedeutend sei mit der Befürwortung jeder Kriegshandlung, jeden Leids für palästinensische Menschen oder der uneingeschränkten Unterstützung rechter Entwicklungen in Israel.
Das Gedenken findet außerdem in einer Zeit statt, in der die antisemitische Welle, die bewusst nach dem 7. Oktober als internationale Kampagne losgetreten wurde, ihre Folgen immer stärker entfaltet. Der 7. Oktober soll in seinem antisemitischen Charakter und seiner Ungeheuerlichkeit sowie als Beginn des Krieges verdrängt werden. Stattdessen wird er zum „Akt des Widerstands“ verklärt und in eine Erzählung eingepasst, in der er zum Umbruchereignis im Kampf gegen ein als koloniales Unterfangen diffamiertes Israel stilisiert wird. Durch kontinuierliche Grenzüberschreitungen und gewalttätige Aktionen ist es der Mobilisierung vielfach gelungen, diskursive Verschiebungen herbeizuführen.
Das Ziel ist klar: Nicht die aktuelle Kriegsführung soll kritisiert oder bessere Lebensbedingungen für Palästinenser:innen gefordert werden – es geht vielmehr darum, Israel als solches als prinzipiell Böses darzustellen, es zum Hauptverantwortlichen für schlimmste Verbrechen zu machen und jeden positiven Bezug auf Israel zukünftig zu verhindern.
Vor allem aber hat die antisemitische Welle eine kontinuierliche und akute Bedrohungslage für Jüdinnen:Juden weltweit erzeugt und unzählige antisemitische Angriffe begünstigt. In diesem Zusammenhang wird selbst das Gedenken an den 7. Oktober und die Opfer des Massakers sowie die Forderung nach Freilassung der Geiseln diffamiert – als „Rechtfertigung eines Genozids“ oder als Akt der Empathielosigkeit gegenüber den zivilen Opfern des Krieges jenseits Israels. In diese Richtung weist auch eine Demonstration, zu der insbesondere links-autoritäre Gruppen in Münster ausgerechnet am 7.10. aufrufen.
Unsere Gedenkaktion ist daher auch ein Zeichen gegen diese Stimmung – insbesondere gegen die akute Bedrohung, die die angekündigte Demonstration in Münster darstellt.
Deshalb möchten wir zusätzlich zur offiziellen Gedenkkundgebung vom 6.10. auch am Jahrestag des Massakers und als Zeichen gegen die angekündigte antisemitische Demonstration zu einer Gedenkaktion einladen. Wir möchten einen Raum für das Gedenken und das Teilen von Schmerz und Sprachlosigkeit schaffen, dabei besonders auf die Stimme von Betroffenen hören.
Wir gedenken der Opfer. Wir bleiben solidarisch mit den Geiseln und ihren Angehörigen. Wir hoffen auf ihre Befreiung und auf echte, emanzipatorische Friedensperspektiven.
Kommt zur Gedenkaktion am 07.10.2025 um 17:30 Uhr am Adolph-Kolping-Platz.
(Anschließend ab 19:30 Uhr get-together in der a.cat, Herwarthstr. 7)
[Eine Kundgebung der Plattform Minimum
Kontakt: plattform_minimumriseup.net
Bei Instagram: @plattform_minimum]
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[Hinweis: Gedenkkundgebung der Jüdischen Gemeinde Münster und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (AG Münster) am 06.10. um 17:30 Uhr auf dem Prinzipalmarkt.]