Offener Brief an Oberbürgermeister Markus Lewe
Münster, den 25.06.2018
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Markus Lewe,
bezahlbarer Wohnraum ist in Münster Mangelware - die meisten Grundstücke und Häuser werden an Investoren vergeben. Alternative, selbstorganisierte und solidarisch finanzierte Konzepte wie Genossenschafts- oder Mietshäuser-Syndikats-Projekte bekommen keine realistische Chance, diese zu erwerben.
Grundstücke wie die Konversionsflächen in Gievenbeck und Gremmendorf bieten die Möglichkeit, zwei große Flächen kleinräumig zu vermarkten. Hier lässt sich modellhaft eine andere Ausrichtung der Stadtentwicklung umsetzen. Wohnprojekte und Baugruppen können hier ihre besonderen Qualitäten zeigen:
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Langfristiger Erhalt von bezahlbarem Wohnraum, da Baugruppen und Wohnprojekte nicht auf Rendite ausgerichtet sind. Sie bauen erfahrungsgemäß bis zu 20% günstiger als kommerzielle Investoren. Baugruppen und Wohngruppen bremsen damit die Spekulation auf dem Wohnungsmarkt.
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Baugruppen und Wohnprojekte haben alternative Konzepte des Zusammenlebens, die zum Beispiel auf generationenübergreifendes, inklusives und integratives Wohnen ausgerichtet sind. Sie sind damit geeignet, die aktuellen stadtgesellschaftlichen Herausforderungen wie demographischer Wandel, Integration von Geflüchteten, gesellschaftliche Teilhabe aller zu meistern.
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Wohnprojekte und Baugruppen engagieren sich in vielfältiger Art und Weise für ein offenes, buntes und respektvolles Miteinander auch in den Quartieren, in denen sie zuhause sind. Sie sind damit ein fundamentaler Baustein für eine zukunftsfähige Stadtgesellschaft, in der sich unterschiedliche soziale Gruppen nicht voneinander abgrenzen, sondern gemeinsam leben.
Damit Wohnprojekte und Baugruppen diese Aktivitäten entfalten können, müssen Besonderheiten bei der Vergabe von Grundstücken und Immobilien berücksichtigt werden:
Frühzeitig müssen Gruppen von Möglichkeiten des Grundstücks- oder Immobilienerwerbs erfahren, da sie in der Regel mehr Zeit für die Entscheidungsfindung benötigen, als dies bei Investoren der Fall ist. Die derzeitige Vergabepraxis städtischer Grundstücke berücksichtigt diese Anforderungen in keiner Weise und muss daher entsprechend geändert werden.
Die Regel ist auch, dass Wohninitiativen nur durch die Presse oder persönliche Kontakte erfahren, dass Grundstücke auf dem Markt sind – und zwar erst dann, wenn sie schon vergeben sind. Wichtige Vorentscheidungen bei der Vergabepraxis in Münster finden im nicht-öffentlichen Bereich statt. Wir fordern als Bürger*innen der Stadt Münster eine Abkehr von der Hinterzimmerpolitik, vollständige Transparenz von Verwaltungsentscheidungen sowie eine echte, ergebnisoffene Beteiligung im Vorfeld.
Was die fruchtbare Kooperation von Politik, Verwaltung und Wohnprojektinitiativen angeht, so gibt es in anderen Städten schon lange gute Erfahrungen, von denen auch Münster profitieren kann. So ist in Tübingen mit seinen 86.000 Einwohnern die Stadtentwicklung mit Baugruppen zum grundsätzlichen Konzept gemacht worden. Das findet europaweit große Beachtung und Nachahmer*innen. Seit Mitte der 90er Jahre sind alle Baugebiete nach diesem Konzept gestaltet worden. Mittlerweile gibt es in Tübingen sechs Quartiere auf ca. 30 Hektar verteilt. 5200 Einwohner*innen haben dort bezahlbare Wohnungen in attraktiven nutzungsgemischten innerstädtischen Quartieren gefunden.
Münster lässt sich öffentlich loben und auszeichnen für seine Verordnung über die sozial gerechte Bodennutzung. Doch statt auf konsequente Nachhaltigkeit setzt die Stadt noch immer vor allem auf einen Verkauf von Flächen an private und gewinnorientierte Investoren. So sollen ausgerechnet diese Akteure sozialen Wohnungsraum schaffen, obwohl sie Wohnungen in Münster zu Höchstpreisen vermarkten können. Da wundert es nicht, dass jede Möglichkeit genutzt wird, um einen guten Schnitt zu machen: Bestenfalls 25 Jahre sind Investoren an die Auflagen der Wohnbauförderung gebunden, anschließend können sie den Wohnraum zu marktüblichen Mietpreisen vermarkten. Nachhaltige Wohnbauförderung sieht anders aus!
Dabei gibt es Alternativen:
Münster könnte seine Flächen und Immobilien beispielsweise an Projektinitiativen vergeben, die schon in ihrer Struktur so angelegt sind, dass eine Gewinnorientierung ausgeschlossen ist und die Mieten niedrig bleiben. So werden z.B. in einem Mietshäuser Syndikat-Projekt die Mieten nur für die laufenden Kosten verwendet: Das Abbezahlen aufgenommener Kredite, Instandhaltung und Renovierung der Gebäude sowie ein Solidarbeitrag zugunsten neuer Projekte.
Möglich wäre es des Weiteren auch, städtische Flächen im Erbbaurecht zu vergeben – eine in Städten wie Amsterdam lang und gut erprobte Praxis. Auch Wohnprojektgruppen mit weniger Eigenkapital haben über eine Vergabe im Erbbaurecht eine echte Chance, ihre Vorhaben zu realisieren. Grund und Boden bleiben im Eigentum der Stadt und sind kein Spekulationsobjekt. Vertragliche Vereinbarungen über dauerhaft bezahlbare Mieten sichern die Dauerhaftigkeit der Konzepte.
Insgesamt muss bei der Vergabepraxis darauf geachtet werden, dass die Sozialbindungsfristen möglichst weit ausgedehnt werden. So ist in Freiburg im Breisgau beispielsweise eine Vergabepraxis mit Bonuspunkten für längere Bindungsfristen entwickelt worden, die die strukturelle Benachteiligung von sozialen Wohnprojekten außer Kraft setzt. Ein solches Vergabeverfahren schließt „normale“ Investoren keineswegs aus. Denn auch diese Unternehmen können sich bewerben und mit der Verlängerung der Bindungsfristen punkten.
Wir fordern,
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eine umgehende, konsequente Veränderung der Vergabepraxis: Alle zur Verfügung stehenden Grundstücke werden bevorzugt an genossenschaftliche, gemeinschafts- und gemeinwohlorientierte oder solidarisch finanzierte, selbst verwaltete Baugemeinschaften, die das Ziel verfolgen, dauerhaft günstigen Wohnraum zu schaffen, vergeben.
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eine Vergabe zu Festpreisen, die nicht an Spekulationsgewinnen orientiert sind, sowie
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die Gewährung von Abschlägen für längere Sozialbindungsfristen bzw. besondere quartiers- und gemeinwohlorientierte Konzepte. Entsprechende Kriterien sollen mit Bürger*innenbeteiligung entwickelt werden.
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Die Vergabe von Grundstücken im Erbbaurecht muss grundsätzlich ermöglicht werden.
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Die Vergabepraxis muss öffentlich und transparent erfolgen.
Wir haben gute Kontakte zu und Erfahrungen aus anderen Städten, die wir in unserer Stadt gern vermitteln, weitergeben und anwenden möchten.
Mit freundlichen Grüßen
Die Bewohner*innen der Wohnprojekte:
Grafschaft 31, Grevener Straße 31, Nieberding, Breul- und Tibusstraße.
Die Vereine und Wohnprojektinitiativen:
WIGWAM e.V., Stadthaus e.V., Gemeinschaftlich Wohnen e.V., Mieter*innenschutzverein e.V. , Mauritzgruppe, Verein zur Erhaltung preiswerten Wohnraums e.V.