Die Politik antwortet auf Fridays for Future: Herablassung, Umarmung, Vereinnahmung, Abfuhr

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Liebe FfF Aktivisten,

dass die Zustimmung, die euch in der deutschen Öffent­lichkeit und aus der Politik entgegen­schlägt, nichts wert ist, werdet ihr selber schon gemerkt haben. Ihr werdet beachtet – und eingemeindet. Von Leuten und Instanzen, die in einem ganz anderen als einem theore­tischen Sinn „etwas zu sagen haben“; die nämlich mit dem, was sie sagen, teils mehr, teils weniger Macht ausüben – und mit dem Gebrauch ihrer Macht für genau die Zustände sorgen, gegen die ihr protestiert. Ein­gemeindet in eine öffent­liche Debatte, deren Irrele­vanz für den prak­tischen Gang der Dinge ihr zur Genüge erfahrt.

Es ist nicht bloß die hohe Kunst der Heuche­lei, mit der ihr da – mal wieder – Bekannt­schaft schließen dürft. Bemerkens- und bedenkens­wert an den vielen heuch­lerischen Gruß­adressen an euren Protest sind die Titel, die Gesichts­punkte, die großen Werte, unter denen ihr mit euren Demonstra­tionen gut gefunden werdet. So groß­artige Leer­formeln wie „die Zukunft“, „unser Planet“, „kein Planet B“, „die Natur“, „die Menschheit“ etc. pp. sind nicht bloß dafür gut, sie sind auch einzig und allein dazu da, über alle wirk­lichen Interes­sen und Interessen­gegen­sätze hinweg eine ganz tiefe und eigent­liche Einig­keit vorzu­spiegeln: einen über­greifenden, irgend­wie verbind­lichen gemein­samen guten Willen. Der wird euch beschei­nigt, wenn man solchen Parolen wie „… weil ihr uns die Zukunft klaut!“ applaudiert.

Das kann man also aus dem posi­tiven Echo auf euren Protest lernen: Die Ideale einer intakten Welt, für die ihr euch starkmacht, sind nichts wert, weil sie sich über die wirk­lichen Macht­interessen und die damit ver­bundenen Gemein­heiten vornehm erheben und eine Gemein­samkeit im Guten beschwören, die es nicht gibt – und die eben so hoch und vornehm und erhaben ist, dass sie von allen Seiten, aus entgegen­gesetzten Posi­tionen und von den feind­lichsten Par­teien be­schworen werden kann. Und auch be­schworen wird; denn darin liegt der Wert der höheren Werte.

Das gilt ent­sprechend für das andere Kompli­ment, das ihr euch einhandelt: Ihr wärt die besorgte Jugend – politisch enga­giert und viel besser als ihr Ruf: Diese primitive Art der Verein­nahmung braucht man euch wohl nicht erst zu erklären! – und hättet mit der Forde­rung nach einer besse­ren Zukunft schon des­wegen recht, weil ihr noch viel mehr davon vor euch habt als die Alten, denen „der Klima­wandel“ nichts ausmacht, weil sie mit einem Bein schon im Grab stehen. Man gibt euch recht, nicht weil ihr ein wich­tiges Anliegen habt, das eure Sympathi­santen und über­haupt die aller­meisten Menschen aus begründe­tem Eigen­interesse zusam­men mit euch durch­kämpfen sollten, sondern weil man euch als besondere Gruppe mit einem eigenen Anspruch auf Würdi­gung und Respekt anerkennt. Als „Schüler und Studen­ten“, als „die Jugend“, wo­möglich als „Nach­wuchs der Nation“ lässt man euch, wohl­wollend, protestie­ren: als speziellen gesell­schaft­lichen Stand, dem man – so wie allen anderen – spezielle Interessen konze­diert. Auch das ist eine per­fekte Abstrak­tion von der Sache, für die ihr euch – nehmen wir an – stark­machen wollt.

 

Von welchen wirk­lich herr­schenden Interessen und real existie­renden Macht­verhält­nissen auf die Art abgesehen wird – sei es im Namen großer fiktiver Gemein­schafts­anliegen, sei es um eurer respek­tablen Identität als „die Jugend“ willen –, das könnt ihr dem negativen Echo ent­nehmen, das euch und eurem Protest ja auch nicht zu knapp entgegen­schallt. Natürlich strotzt das von reaktio­närer Dumm­heit; aber wenn es bloß das wäre! Wenn die Dame von der AfD euren Protest für unbeacht­lich erklärt, weil ihr noch nie eine Stromrechnung bezah­len musstet, oder wenn der junge Mann an der CDU-Spitze, ge­meinsam mit den sozial­demo­kratischen Ober­lehrern der Nation, euch ermahnt, erst einmal fleißig zu lernen, bevor ihr „auf die Straße“ geht, dann könnt ihr merken, wie leicht der Ehren­titel „Jugend“ – „Wir als Nach­wuchs des Landes verdie­nen Gehör!“ – sich um­drehen lässt: Der ehren­werte Stand, als der man beachtet werden will, ist zugleich nur ein Stand unter vielen, hat seine Grenzen und außer­dem seine vergleichs­weise schwachen Seiten, kann also besten­falls als eine Stimme unter vielen zählen und verdient allen­falls eine sehr bedingte Aner­kennung. Wenn ihr dann zu hören kriegt, dass es doch „auch“ auf die Arbeits­plätze in der Kohle- und Auto­industrie ankommt, die durch konsequen­teren Klima­schutz in Gefahr gerieten, und auf die Kon­kurrenz mit anderen – natür­lich noch viel schmutzi­geren – Ländern, in der die eigene Nation ohne rück­sichts­lose Industrie­politik ins Hinter­treffen gerät, dann ist das eine weitere sehr aufschluss­reiche Lektion. Nicht in dem Sinn, dass man vor solchen Hin­weisen stramm­stehen und die eigenen Interessen – und die Argu­mente, wenn man welche hat – gleich relati­vieren müsste. Zur Kennt­nis nehmen sollte man statt­dessen, mit welchen macht­vollen Interessen und mit welchen Macht­verhält­nissen man sich tat­sächlich schon dann anlegt, wenn man es mit Ein­wänden gegen die fort­schreitende Ruinie­rung ganz vieler natür­licher Lebens­bedingungen auch nur ein biss­chen ernster meint als die Prediger im Feuilleton. Dann bekommt man es nämlich nicht mit einer Unter­lassung zu tun, mit einem mangeln­den guten Willen der politisch und öko­nomisch Verant­wort­lichen. Die machen selber deutlich, und zwar mit ihrem „Nein!“ zu eurem Protest wie mit ihrem „Ja, aber“, dass die Welt, für die sie „die Verant­wortung tragen“, über die sie also die Regie führen, etwas ganz anderes ist als ein Stück miss­brauchte oder vernach­lässigte Natur. Nämlich ein globaler Markt, auf dem es in mehr­fachem Sinn ums Geld geht, ein­gerichtet und aufrecht­erhalten durch Staaten, die mit ihrer Gewalt – in Kon­kurrenz gegen­einander, deswegen manche mit über­haupt nicht umwelt- und klima-freund­lichen Atom­waffen – für die dazu passende Ordnung Sorge tragen. Mit all den sach­dienlichen Hinweisen aus berufenem Munde wird euch doch erklärt, welchen Stellen­wert mensch­liche Interes­sen, und zwar jeglicher Art, in diesem System haben.

(Auszug aus einem offenen Brief der Zeit­schrift GegenStandpunkt an die „Fridays for Future“-Protestgemeinde)