Offener Brief: §219a StGB ersatzlos streichen!

Offener Brief an
die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Dr. Katarina Barley,
die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Dr. Franziska Giffey,
die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Andrea Nahles,
die Bundestagsfraktion der SPD

§219a StGB ersatzlos streichen!

Eine Entscheidung in der Debatte um den §219a StGB steht bevor – und leider sieht es so aus, als würde die SPD von ihrer ursprünglichen Forderung zur Streichung des Paragraphen abrücken und
mit der Koalitionspartnerin CDU einen Kompromiss eingehen, der lediglich eine Änderung des §219a zur Folge hätte. Für uns, das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster, stellt ein solcher
Kompromiss keine akzeptable Lösung in der gesellschaftlichen Debatte zum Schwangerschaftsabbruch dar. Wir möchten die mit der Entscheidung befassten Politiker*innen daher bitten und ermutigen, sich weiterhin für eine ersatzlose Streichung des §219a einzusetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren der Bundestagsfraktion der SPD,
Sehr geehrte Frauen Nahles, Dr. Barley und Dr. Giffey,
der §219a ist nicht nur Grundlage für eine Reihe von Anzeigen, die in den letzten Jahren gegen Ärzt*innen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, eingebracht worden sind. Er symbolisiert auch das gesellschaftliche Klima der Tabuisierung und Stigmatisierung, welches bezüglich des Themas des Schwangerschaftsabbruchs immer noch herrscht. Die aktuelle Gesetzeslage ist nicht nur ein reales Hindernis für das Informationsrecht betroffener Frauen, sondern auch für Ärzt*innen, die vor der Entscheidung stehen, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten.

In Münster sind die Auswirkungen des §219a hautnah zu spüren: Die medizinische Versorgung für ungewollt Schwangere ist in der größte Stadt Westfalens gefährdet, weil die Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, nacheinander in den Ruhestand gehen, und es kaum junge Kolleg*innen gibt, die diese Aufgaben übernehmen (wollen). Aktuell gibt es nur eine Praxis in Münster, in der ein Schwangerschaftsabbruch vorgenommen werden kann. Den Grund hierfür sehen wir in einer Gemengelage, in der gesellschaftliche Tabuisierung, Aktivitäten radikaler Abbruchsgegner*innen und vor allem die aktuelle Gesetzlage sich gegenseitig bedingen. Die Situation in Münster ist kein Einzelfall: in den letzten 15 Jahren ist die Zahl der Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, laut statistischem Bundesamt bundesweit um 40% gesunken.

Die SPD hat die historische Gelegenheit, einen echten gesellschaftlichen Fortschritt zu erwirken und mit der Streichung des §219a ein Umdenken in der gesellschaftlichen Haltung zum Schwangerschaftsabbruch anzustoßen. Ein Kompromiss zum §219a ist nicht als Erfolg zu werten, da seine Existenz impliziert, Frauen ließen sich von Information zum Schwangerschaftsabbruch zu‚einseitigen‘ Entscheidungen verleiten. Ein Werbeverbot ist zudem schon aus dem Grund überflüssig, dass das Berufsordnungsrecht der Ärzte anpreisende Werbung ohnehin untersagt. Somit führt der §219a nicht zu einer Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen, sondern zur Stigmatisierung von Ärzt*innen und betroffenen Frauen, sowie zu einer eingeschränkten medizinischen Versorgung im Fall einer ungewollten Schwangerschaft.

Wir fordern Sie auf, zu ihrer ursprünglichen Position zurückzukehren und wie vor einem Jahr die Streichung des §219a zu fordern.

Diese Forderung wird von der Bevölkerung unterstützt, wie eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Stimmen zeigt. Sowohl Frauenorganisationen als auch kirchliche, wissenschaftliche, politische und
juristische Verbände haben sich öffentlich für die Streichung ausgesprochen. Selbst der Vorsitzende Richter Johannes Nink sagte bei der Bestätigung des Urteils zu Kristina Hänel, sie müsse das Urteil
„tragen wie einen Ehrentitel im Kampf für ein besseres Gesetz“.

Auch die SPD-Basis fordert eine Streichung des §219a: So haben sich der Arbeitskreis Sozialdemokratischer Frauen, die Jusos und der Landesvorstand der NRW-SPD entsprechend positioniert; auch die SPD-Landtagsfraktion in Niedersachsen sprach sich gegen die Koalitionspartnerin CDU für die Streichung aus. Daher fordern wir auch Sie dazu auf:

Geben Sie diesen Kampf nicht aus koalitionsstrategischem Kalkül auf, sondern beweisen Sie Mut – sorgen Sie für die Streichung des §219a!

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster
Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster ist ein breites Bündnis aus verschiedenen allgemeinpolitischen und feministischen Gruppen, Verbänden, Beratungsstellen, Gewerkschaften,
Parteien und Einzelpersonen.
https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/vor-ort/muenster/

Münster, den 10.12.2018

Autor*in
Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung Münster