Am Morgen des 3. Juli 2019 wurde aus Roxel eine Familie entsprechend der Dublin-Verordnung nach Spanien abgeschoben obwohl es eindeutige fachärztliche Gutachten gab, nach denen eines der Kinder definitiv nicht reisefähig war. Die WN hatte bereits zwei Mal über den Fall berichtet (siehe unten). Heute hätte es um 8:00 einen weiteren Termin in der Ausländerbehörde gegeben, zu dem die Familie geladen war. Eine Stunde vorher wurden sie jedoch in ihrer Unterkunft in Roxel von 7 Beamt*innen innerhalb kürzester Zeit in einen Bus gesteckt und zum Flughafen Düsseldorf gebracht. Der Flieger ging am selben Tag um 12:00 Uhr nach Madrid. Die Familie wurde von zahlreichen Ehrenamtlichen in Roxel unterstützt und die Marienschule, in der die Kinder sehr verwurzelt waren, hat sich sehr stark gemacht für den Verbleib der Familie.
Auf der humanitären und auch der sachlichen Ebene hat die Ausländerbehörde Münster hier Fakten geschaffen auf eine Weise, die inakzeptabel ist und auch einen Richtungswechsel der ansonsten flexiblen Vorgehensweise der Behörde aufzeigt. Gerade auch in Verbindung mit dem skandalösen Fall der Abschiebung eines Mannes in der letzten Woche nach Serbien, der nach einem 4-jährigem Aufenthalt und familiären Bindungen in Münster nun am 1. August seine Friseurausbildung hätte antreten können.
Pressemitteilung des Bündnis gegen Abschiebungen vom 4. Juli 2019
Münster-Roxel. Gestern Abend, Mittwoch 3. Juli, fand in Roxel auf dem Pantaleonsplatz vor der Kirche eine Mahnwache mit ca. 120 Teilnehmenden statt aus Anlass der gestrigen Abschiebung einer iranischen Familie aus Roxel nach Spanien. Darunter waren viele Eltern der Roxeler Marienschule und MitschülerInnen der abgeschobenen Kinder. Auf Transparenten wurde die Fassungslosigkeit und Bestürzung über die Abschiebung zum Ausdruck gebracht (wie: "Münster schiebt kranke Kinder ab"). Ein Vertreter der Schulpflegschaft stellte den Hintergrund der Familie dar und sagte: "Ich bin erschüttert. Wie kann es sein, dass die Familie trotz stichhaltiger medizinischer Atteste und der festen Verankerung der Kinder in der Marienschule abgeschoben wurden? Wie kann es sein, dass man die Familie für 8:00 Uhr zu einem Termin einbestellt zur Klärung des weiteren Vorgehens und eine Stunde vorher bereits die Abschiebung durchgeführt wird? Das ist nicht mein Münster."
Der Unterstützerkreis steht nach wie vor im Kontakt mit der Familie, die in Madrid bisher keine Unterkunft bekommen hat und nun obdachlos ist. Die letzte Nacht mussten sie auf der Straße verbringen. "Die Kinder sind völlig am Ende und können einfach nicht verstehen was passiert ist", so der Schulpflegschaftsvertreter.
Auch Pfarrer Tiemo Weissenberg brachte stellvertretend für die Kirchengemeinde sein Entsetzen über das Vorgehen der Behörden zum Ausdruck: "Es ist wichtig, dass wir in Gedanken jetzt bei der Familie sind." Benedikt Kern vom Bündnis gegen Abschiebungen erklärte: "Die Abschiebung dieser Familie sowie der Fall in der vergangenen Woche eines Mannes, der über einen Ausbildungsvertrag ab dem 1. August verfügte und dennoch von seiner alleinerziehenden Lebensgefährtin hier getrennt und nach Serbien abgeschoben wurde, zeigen: Es herrscht ein neuer Wind in der Münsteraner Ausländerbehörde. Humanitäre Spielräume werden offensichtlich nicht mehr ausgenutzt. Das ist die Folge der Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre. Deswegen ist es um so wichtiger, dass es eine solidarische Zivilgesellschaft gibt, wie hier in Roxel, die öffentlich Druck ausübt - nur so können Menschenrechte durchgesetzt werden."
Die Flüchtlingshilfe Roxel, die Schulpflegschaft der Marienschule, die katholische Kirchengemeinde und das Bündnis gegen Abschiebungen hatten zu der Mahnwache eingeladen.
Berichterstattung aus der WN
„Aus pädagogischer Sicht nicht tragbar“
Münster-Roxel. Sie sind zwar erst seit September 2018 in Deutschland, doch sie sollen sich in Roxel bereits gut eingelebt haben: Die Schulpflegschaft der Roxeler Marienschule wil verhindern, dass eine fünfköpfige iranische Familie nach Spanien rückgeführt wird. man mache sich große Sorgen, heißt es.
In einer Pressemitteilung weist die Schulpflegschaft darauf hin, dass die drei Kinder der Flüchtlingsfamilie zwei Mädchen und ein Junge-innerhalb kürzester Zeit die deutsche Sprache gelernt hätten, stets pünktlich zur Schule kämen, dort beliebt und gut integriert seien. Eines der Mädchen spiele Fußball, ihr Bruder besucht einen Schwimmkurs und wolle demnächst auf die Realschule wechseln. Die Flüchtlingsfamiie, sei im September nach dreitägigen Aufenthalt in Spanien, nach Deutschland eingereist. Hier drohe ihr nun die Abschiebung nach Spanien, wo ihr Asylantrag geprüft werden solle. „Ein erneutes Herausreißen der Kinder aus ihrem gerade neu gewonnenen Umfeld ist nach Überzeugung der Schule aus pädagogischer Sicht nicht tragbar“, heißt es in der Mitteilung der Schulpflegschaft. Den Eltern der Marienschule gehe das Schicksal der Familie sehr nahe, zumal eines der Mädchen, bis heute an den Nachwirkungen einer 2016 diagnostizierten Nierenerkrankung leide. Spanien sei nach fester Überzeugung der Schulpflegschaft für die Familie eine „unvorstellbare Perspektive“ ,da Flüchtlinge dort keinen verlässlichen Zugang zum Gesundheitswesen hätten. Dem wird seitens der Stadt Münster allerdings widersprochen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe festgestellt, dass auch in Spanien eine gegebenenfalls notwendige medizinische Behandlung sichergestellt und der angeführte Gesundheitszustand keinerlei Hindernis für eine Abschiebung nach Spanien darstelle, heißt es in einer städtischen Stellungnahme. Die erfolgreichen Schulbesuche der Kinder seien erfreulich und müssen ausdrücklich gelobt werden. Sie lieferten jedoch keinen hinreichenden Grund dafür, dass die Stadt sich über den Rückführungsbescheit des Bundesamtes hinwegsetzen könne. Diese habe der Familie beschieden, „das sie sich innerhalb der EU nicht das Land aussuchen kann, in dem sie gegebenenfalls Schutz vor Verfolgung bekommt und sie deshalb zurück nach Spanien muss“. Diese Entscheidung des Bundesamtes sei gerichtlich bestätigt worden.
„Vollkommen verantwortungslos“
Sie fordern ein Bleiberecht für die Familie: Das „Bündnis gegen Abschiebungen“ und die Roxeler Flüchtlingshilfe wollen verhindern, das ein iranisches Ehepaar mit seinen drei Kindern nach Spanien rückgeführt werden soll.
Von Thomas Schubert
Freitag, 07.06.2019
Der Fall der fünfköpfigen iranischen Flüchtlingsfamilie, die derzeit in Roxel wohnt und – wie berichtet – auf Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ( BAMF ) demnächst nach Spanien rückgeführt werden soll, hat das „Bündnis gegen Abschiebungen Münster“ und die Roxeler Flüchtlingshilfe auf den Plan gerufen: In Pressemitteilungen kritisieren sie die drohende Rückführung und fordern ein Bleiberecht für die Familie, die seit September 2018 in Deutschland ist.
In ihren Schreiben weisen die Initiativen darauf hin, dass die Flüchtlingsfamilie über Spanien nach Deutschland eingereist sei und aufgrund der dort erfolgten Erstregistrierung nun nach Spanien rückgeführt werden solle.
In Spanien erwarte die Familie eine erneute Entwurzelung und die Gefahr, obdachlos zu werden. Denn die Plätze in den dortigen Aufnahmeeinrichtungen seien rar , und die maximale Aufenthaltsdauer betrage sechs Monate, heißt es in der Mitteilung des „Bündnisses gegen Abschiebungen“. Eine Familie aus ihrem neu gewonnen Umfeld zu reißen, halte man für „vollkommen verantwortungslos“. Eine Abschiebung könne schwerwiegende Folgen für die Familie haben. Besonders, da die Nachwirkungen einer schweren Krankheit von einem der drei Kinder berücksichtigt werden müssten.
Auch die Roxeler Flüchtlingshilfe verweist in ihrer Mitteilung darauf, dass eines der Kinder nach wie vor unter starken Beschwerden aufgrund einer im Jahr 2016 festgestellten schweren Erkrankung leide. Wenn die Stadt Münster in diesem Zusammenhang darauf verweise, dass Flüchtlinge auch in Spanien Zugang zum dortigen Gesundheitssystem hätten, dann mache dies die Mitglieder der Flüchtlingshilfe einfach nur sprachlos.
Weiterhin heißt es, dass die drei Kinder der iranischen Familie „mittlerweile bestens integriert“ seien. Der älteste Sohn habe innerhalb kürzester Zeit Deutsch gelernt. Er könne im Sommer sogar auf eine Realschule wechseln. Das sei für ihn und seine Unterstützer aus Lehrern und Elternschaft der Roxeler Grundschule ein enormer Kraftakt gewesen. Die Flüchtlingshilfe hofft, dass die Chance der Flüchtlingsfamilie auf eine gesunde und sichere Zukunft hierzulande „nicht jäh zerstört wird“.