Mehrmals wöchentlich finden seit einigen Monaten nächtliche Abschiebungen aus der ZUE Münster statt. Die Folge ist Angst, Verzweiflung und psychische Zermürbung, gerade auch für dort lebende Kinder.
In der vergangenen Woche ist der Versuch einer solchen Abschiebung massiv eskaliert und sämtliche Grenzen der Menschlichkeit sind überschritten worden: Eine Familie sollte aus der ZUE abgeholt werden und im Rahmen des Dublin-Verfahrens abgeschoben werden. Der Vater und der Sohn der Familie waren aus Angst vor Abschiebung nicht im Zimmer, die Mutter und minderjährige Tochter haben die Tür von innen verbarrikadiert. Daraufhin versuchten Mitarbeiter*innen der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) Coesfeld, die Tür aufzubrechen. Dies geschah mit derartiger Gewalt, dass der Stahlrahmen aus der Verankerung gerissen wurde, die Tür hielt jedoch Stand. Von vielen Augenzeugen wurde dies als „Belagerungszustand“ geschildert, der etwa zwei Stunden andauerte. Die Mutter stand währenddessen vor lauter Verzweiflung am offenen Fenster und drohte damit, im Falle eines Eindringens zu springen. Die 12-jährige Tochter, aus Angst und Verzweiflung von Innen gegen die Tür haltend, wurde durch den gewalttätigen Versuch, die Tür aufzubrechen, an Armen und Oberschenkel mit Prellmarken und Hämatomen verletzt. Nach Abbruch des Abschiebeversuchs wurde die Mutter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.
Diese ZUE ist für die Familie, aber auch für viele andere Geflüchtete Menschen, inzwischen ein Ort der Angst. An einem Ort, an dem sie nach der Flucht vor Gewalt, vor Armut, vor Krieg und aus vielen anderen persönlichen Gründen zuerst Sicherheit, Ruhe und Schutz erhalten müssten, ist ihnen nun psychisch enorm Belastendes widerfahren, was zu erneuten Traumatisierungen und weiteren psychischen Folgeschäden führen kann.
Solche Abschiebungen sind nicht nur hochgradig gefährdend sondern auch zutiefst inhuman. Wir fordern einen sofortigen Stopp von Abschiebungen aus der ZUE!
Rede Benedikt Kern (Netzwerk Kirchenasyl)
Redebeitrag einer ZUE-Bewohnerin
Mit deutsch-iranischer Übersetzung. Die Rednerin ist aus dem Iran geflüchtet und lebt seid rd. 6 Monaten in Deutschland.
Der Redebeitrag der Antifaschistischen Linken Münster
Nazis morden, der Staat schiebt ab.
Eine Parole. Ja. Eine Verallgemeinerung. Ja. Eine Zuspitzung? Nein. Leider nicht. Sondern eine Beschreibung der Realität in diesem Land.
Rechte Gewalt ist eine Kontinuität in der Geschichte der Bundesrepublik – sowohl vor als auch nach der Wiedervereinigung. Der schwerwiegendste Terroranschlag in der Geschichte des Landes, mehr als 200 Tote seit der Wende, Tausende Angriffe auf Geflüchtete jedes Jahr, ein halbes Dutzend aufgeflogene rechtsterroristische Gruppen in den letzten beiden Jahren und zuletzt die Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walther Lübcke: Nazis morden.
Und der Staat? Reagiert auf diese Gewalt nach dem immer gleichen Muster. Mit Verschärfungen des Asylrechts, mit Repressalien und autoritärer Kontrolle von sich hier aufhaltenden Asylsuchenden und einer immer rücksichtsloseren Abschiebepraxis.
Nach den bundesweiten rassistischen Ausschreitungen und Morden Anfang der 90er Jahre wurde das Grundrecht auf Asyl aus dem Grundgesetz gestrichen. Nach der Welle der Gewalt gegen Geflüchtete, die auf den Sommer der Migration 2015 folgte und die bis heute anhält, wurden eilig diverse „Asylpakete“ verabschiedet, um Anerkennungsquoten weiter zu senken und Geflüchtete schnellstmöglich an andere (EU-)Staaten zurückweisen zu können.
Denen, die es unter großer Gefahr und Anstrengung bis nach Deutschland geschafft hatten, macht der deutsche Staat das Leben so schwer wie nur möglich. Arbeitsverbote, Entzug der Reisefreiheit, Leistungen unterhalb der Grundsicherung und oftmals Unterbringungen, die man bestenfalls als Kasernen und realistischerweise nur als Gefängnisse bezeichnen kann – auch wenn „ANKER“-Zentrum natürlich viel schöner klingt.
Mit dem kürzlich unter Beihilfe von SPD und Grünen verabschiedeten „Geordnete Rückkehr“-Gesetz hat Bundesinnenminister Horst Seehofer, der den Kampf gegen das Recht auf Flucht seit Amtsantritt zu seinem Kernthema gemacht hat, die sowieso schon rigiden Abschieberegelungen in Deutschland auf die zynische Spitze getrieben. Leistungen unter dem Existenzminimum, ein neuer noch prekärerer Duldungsstatus, die Ausweitung der Abschiebehaft und die Kriminalisierung solidarischer Akte des zivilen Ungehorsames gegen Abschiebungen. Die Vorgabe ist klar: Abschiebungen sollen entgegen aller Zweifel und auch rechtsstaatlicher Hürden um fast jeden Preis rigoros durchgesetzt werden.
Wohin das führt, haben wir am letzten Sonntag gesehen und es passiert täglich in Deutschland. Sie kommen im Morgengrauen. Ohne Ankündigung. Sie treten Türen ein. Sie sind gewalttätig. Sie bringen Menschen fort. Sie schicken Menschen zurück in Verfolgung, Armut und Hoffnungslosigkeit. Sie reißen Menschen aus ihrem Leben. Ohne Rücksicht. Ohne Empathie. Ohne Verständnis.
Legitimiert durch ein Gesetz – zu rechtfertigen durch nichts. Der Staat schiebt ab.
Ulrich Helmich, Dezernent der für die Abschiebungen im Münsterland zuständigen „Zentralen Ausländerbehörde“ in Coesfeld fiel dazu nur ein, „seine Mitarbeiter hätten sich korrekt verhalten“. Ihm können wir in aller Fassungslosigkeit, Wut und Ohnmacht nur entgegen: „Niemand hat das Recht, zu gehorchen.“ Wer sein Verhalten alleine an gesetzlicher Legitimation ausrichtet, wenn Unrecht geschieht, macht sich mitschuldig. Davor schützen auch Anweisungen und Befehle – eine sehr deutsche Tradition der Unschuldsvermutung – nicht. Die primäre Aufgabe der ZAB ist es, Abschiebungen zu organisieren und durchzusetzen und das wissen alle, die dort arbeiten sehr genau.
Diese Woche wurde bekannt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über längere Zeit den Neonazi Hendrik Stiewe aus Bochum beschäftigte. Der zu den „Hammerskins“ gehörende Nazi war im BAMF an der Abwicklung von Dublinverfahren beteiligt, d.h. er organisierte Abschiebungen in andere EU-Staaten wie die, die Anlass für diese Kundgebung ist. Dass ein bekennender und bekannter Nazi wie Stiewe über eine so lange Zeit im BAMF weder negativ auffiel noch Verdacht erweckte ist bezeichnend und spricht für sich.
Was uns trotz allem Hoffnung gibt? Ihr, mit denen wir heute hier in Solidarität mit den Betroffenen stehen. All die, die sich für ein Recht auf Flucht und Migration engagieren – ob ehrenamtlich vor Ort, hoch offiziell im Job, unerkannt im Schutz einer Skimaske oder unter Lebensgefahr auf dem Mittelmeer. Alle, die sich mit diesen Zuständen nicht abfinden wollen, nicht abfinden können und nicht mehr abfinden werden. Lasst uns gemeinsam mit den Betroffenen neue Formen der Solidarität und des Widerstands entwickeln, egal wie hoffnungslos es gerade erscheinen mag.
Denn die Zeiten mögen sich ändern, aber es bleibt dabei: Kein Mensch ist illegal. Niemals.