Vortrag "No Border oder Barberei. Rosa Luxemburg und die Krise des Grenzregimes" von Daniel Loick

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Vor etwas mehr als einem Jahrhundert diagnostizierte Rosa Luxemburg, dass die Welt an einem Scheideweg stehe: entweder der Übergang zum Sozialismus oder der Rückschritt in die Barberei. Diese absolut binären Optionen waren das Ergebnis einer spezifischen historischen Konstellation sozialer Kräfte, insbesondere des Konflikts zwischen der Expansion der kapitalistischen Akkumulation und der gleichzeitigen Konsolidierung des Nationalstaats. Der Vortrag wird der Frage nachgehen, was es bedeuten würde, die Frage Luxemburgs für heute neu zu formulieren. Einerseits ist eine ähnliche historische Dynamik zu beobachten wie in Zeiten Luxemburgs, die sich am deutlichsten in der aktuellen Grenzkrise und den Tausenden von Todesopfern im Mittelmeerraum und anderswo zeigt. Auf der anderen Seite erscheint es zu oberflächlich, den luxemburgischen Rahmen einfach als ein ahistorisches Schema zu behandeln, das sich simpel auf veränderte Umstände anwenden lässt. Luxemburg ernst zu nehmen bedeutet, die Prämissen, die ihrer Alternative zugrunde liegen, viel grundlegender zu hinterfragen und so ihre marxistische Darstellung mit feministischen, antirassistischen und postkolonialen Ansätzen zu verbinden. _________________________________________________

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Vortragsreihe Grenzkritik statt. Grenzkritik #2: Die Gewalt der Grenze. Perspektiven auf Abschottung, Repression und Ausschluss Grenzen setzen eine Aufteilung der Welt auf viele Ebenen durch. Sie bestimmen mit, welchen Zugang zu materiellen und ideellen Ressourcen Menschen haben dürfen, sie weisen gesellschaftliche Rollen und Positionen zu, sie beschränken die Freiheit, sich in Raum und Zeit zu bewegen, sie begrenzen die Weisen, die Welt zu erfahren. Grenzen fungieren darin immer gleichzeitig ausschließend und disziplinierend. Grenzen existieren dabei nicht ohne Praxen der Gewalt, die sie instituieren und aufrechterhalten und damit erst ihre ausgrenzend-disziplinierende Funktion durchsetzen. Dies ist unmittelbar zu beobachten etwa an den europäischen Außengrenzen, zu denen die Polizeigewalt von Frontex, die Lager in Libyen, die libysche Milizen gehören sowie die Naturgewalt des Mittelmeers und der Sahara. Auch die Diskurse, die den Ausbau der Grenzen begleiten, sind von außerordentlicher Gewalt gekennzeichnet. Die Gewalt der Außengrenze reproduziert sich auch nach innen, in der Schikanierung von Migrant*innen durch Behörden, in den lager-ähnlichen Ankerzentren, in den gewaltbereiten Abschiebungen, durch die Praxis des Racial Profilings. Merkmal gegenwärtiger Politik ist außerdem nicht zufällig die Tendenz zur ?autoritären Formierung" der Gesellschaft, die sich in Maßnahmen zur Stärkung polizeilicher Befugnisse, in der Zurückführung sozialer Auseinandersetzungen auf Probleme ?öffentlicher Ordnung", in einer ausgeprägten Repression von solidarische Initiativen und Aktivist*innen, in einer allgemeinen Abschottung nach außen ausdrückt. Alltäglich erfährt man die Gewalt, die die Aufteilung des Sinnlichen instituiert, in der Umstrukturierung des urbanen Raums, in der Ideologie des ?Dekors", in der Schaffung von ?Gefahrenzonen". Dabei neigt die Gewalt, die in den Grenzdispositiven steckt, dazu, sich zu normalisieren, unsichtbar zu machen und als natürlich zu präsentieren. In all dem Zeigt sich die konstitutive Widersprüchlichkeit der liberalen Demokratie, deren Anspruch, im Dienst von Freiheit, Gleichheit und Menschenrecht zu stehen nicht nur an deren Außengrenzen endet, sondern selber durch den als selbstverständlich wahrgenommenen Ausschluss und polizeiliche Gewalt in Kraft gesetzt wird.

Die Veranstaltungsreihe will unterschiedliche Dimensionen der Praxis der Grenzen sondieren. Sie wird organisiert von der Seebrücke Münster und dem AK Zu Recht Münster.